Individualmobilität sticht Erinnern

Die Genehmigung für die Bebelplatz-Tiefgarage ist so gut wie sicher. Pläne waren Mahnmal-Architekten bekannt

Dass die geplante Tiefgarage unter dem Bebelplatz in Mitte noch verhindert werden kann, wird immer unwahrscheinlicher. In den kommenden Tagen wird das Bezirksamt Mitte dem Investor die Baugenehmigung erteilen. Pläne der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sehen vor, rund um das in den Platz eingelassene Bücherverbrennungs-Mahnmal „Bibliothek“ des israelischen Künstlers Micha Ullman Autos parken zu lassen. Der 1995 unter der Fläche zwischen Staatsoper, Hedwigskathedrale und juristischer Fakultät eingeweihte Raum mit leeren Regalwänden erinnert an die Verbrennung von rund 20.000 Büchern pazifistischer, jüdischer und marxistischer Autoren am 10. Mai 1933. Die Garagenpläne stoßen auf den Widerstand Ullmans. Unterstützt wird sein Protest von Künstlern, engagierten Bürgern und einer Studierenden-Initiative der benachbarten Humboldt-Universität.

Ein von den Fraktionen der PDS und der Grünen in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingebrachter Antrag, den Bau der Tiefgarage zu stoppen, wurde jetzt in den Stadtentwicklungsausschuss der BVV verwiesen. Um eine Baugenehmigung zu erhalten, müsse der Münchner Investor Wöhr und Bauer nur noch die Übernahme eventueller Baufolgeschäden am Gebäude der juristischen Fakultät übernehmen, sagte Bezirksbaustadträtin Dorothee Dubrau (parteilos, für Bündnis 90/Die Grünen) der taz. Zu klären seien weiterhin technische Fragen bei der Entlüftung der Garage. Dies dauere nur wenige Tage, maximal einige Wochen. Verweigert der Bezirk dem Investor die Baugenehmigung, droht ihm eine Schadenersatzforderung in Millionenhöhe.

Auf einer Podiumsdiskussion, die am Donnerstagabend stattfand, suchten Künstler, Kunsthistoriker und Stadtplaner eine Antwort auf die Frage „Wie weit reicht der Wirkungsbereich des Mahnmals?“. Künstler Micha Ullman ist sich sicher: Er endet nirgends. Noch im März hatte er allerdings in einem Brief an den damaligen Regierenden Bürgermeister fünf Meter Mindestdistanz zwischen der „Bibliothek“ und der Tiefgarage gefordert.

Ullman könnte auch auf sein Urheberrecht pochen. Die Änderung des „geistig-ästhetischen Gesamteindrucks“ müssten Künstler nicht hinnehmen, entschied 1999 das Oberlandesgericht Erfurt. Auch Ullman beschreite bereits den Rechtsweg, hieß es auf dem Podium.

Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm vertrat die Ansicht, es gebe Orte in Berlin, die man nicht mehr verändern solle. Er führte die „Topographie des Terrors“ auf dem Gelände des ehemaligen Gestapo-Hauptquartiers an. Die Bedeutung von Ullmans „Bibliothek“ habe die Planung der Tiefgarage überholt und „unvorhergesehene Relevanz entfaltet“. Doch Hoffmann-Axthelm hält den Kampf gegen den Parkkeller für bereits entschieden: Es gebe ein Missverhältnis zwischen der Erinnerungsbereitschaft der Menschen und ihrem Mobilitätsdrang. Abstriche am Autoverkehr seien in Berlin kaum mehrheitsfähig.

Ullmans Vertragsarchitekt Andreas Zerr wusste bereits 1994 von der Garage, als er die „Bibliothek“ bautechnisch plante. Eine Zeichnung Zerrs zeigt das Mahnmal denn auch von Parkdecks umgeben. Die Kritik der Studenten, Bürger, Parteien und Künstler komme also reichlich spät, sagt Baustadträtin Dorothee Dubrau. TILMAN STEFFEN