Soll PID erlaubt werden?

JA

Wie es ist, kann es nicht bleiben. Die Rechtslage rund um die pränatale Erkennung genetisch bedingter Krankheiten ist widersinnig und unmenschlich. Die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland kann für Eltern eine Option eröffnen.

Bevor Simon Ende 1998 geboren wurde, hatten Barbara und ich, die Eltern, das Wort Mukoviszidose noch nie gehört. Simon nahm viereinhalb Monate lang nicht zu. Er trank schlecht an der Brust, erbrach viel, wuchs kaum, wurde immer dünner. Unser damaliger Kinderarzt war ratlos. Es lag an uns, Simon allen möglichen Untersuchungen unterziehen zu lassen, damit wir herausfanden, was mit ihm war.

Als nach viereinhalb Monaten Mukoviszidose diagnostiziert wurde, brachte uns das Erleichterung – endlich wussten wir, was die Ursache all der Probleme war. Zugleich war es ein Schock: Wir würden mit einem Kind leben, das Zeit seines Lebens täglich mehrere Stunden mit Inhalationen und Physiotherapie zubringen muss, das sich vor dem fast überall vorkommenden Pseudomonas-Keim in Acht nehmen muss, das immer wieder länger ins Krankenhaus muss, dessen Gesundheitszustand sich wahrscheinlich verschlechtert, je älter es wird. Wir lasen, dass die durchschnittliche Lebenserwartung für Mukoviszidose-Patienten heute bei 32 Jahren liegt. Aber in den Zeitschriften der Selbsthilfeverbände sahen wir auch die Todesanzeigen für achtjährige und die Berichte vom vergeblichen Warten auf eine Lungentransplantation.

Wir wollten noch ein Kind. Muss ich begründen, warum wir uns nicht zutrauten, ein zweites Kind mit derselben Krankheit zu bekommen, was zu immerhin 25 Prozent wahrscheinlich war? Und muss ich rechtfertigen, warum ich ein zweites nicht adoptieren oder von einem anderen Mann zeugen lassen wollte?

Zugleich plagte uns das schlechte Gewissen: War es nicht ein Verrat an Simon, einen Fötus abtreiben zu lassen, nur weil dieses Kind so würde wie er? Gab es nicht irgendeine andere Möglichkeit? Wir hatten von der Präimplantationsdiagnostik (PID) gehört, wussten aber nur, dass sie in Deutschland verboten, in Belgien und anderen europäischen Ländern erlaubt sei. Die Ärztin, mit der wir darüber sprachen, riet uns ab – das Verfahren sei aufwändig, teuer und wie jede künstliche Befruchtung mit hohen Risiken verbunden.

Ethisch und emotional erschien uns die verbotene PID vertretbarer als die legale „Schwangerschaft auf Probe“ mit der Möglichkeit einer Spätabtreibung. Wir ärgerten uns, dass es die Möglichkeit in Deutschland nicht gab.

Schließlich entschieden wir uns gegen die künstliche Befruchtung. Wir nahmen uns vor, an die 75 Prozent Gesundheitsdisposition zu glauben. Barbara wurde schwanger. In der zwölften Schwangerschaftswoche würden wir, so hatten wir es vor, per Chorionzottenbiopsie genetisch untersuchen lassen, ob das Kind Mukoviszidose haben würde oder nicht. Wir hatten unendliche Male diskutiert, was wir in diesem Fall tun würden, und hatten die Diskussion immer wieder abgebrochen. Ich versuchte, die Schwangerschaft zu verdrängen, was mir sogar einigermaßen gelang. Barbara aber war allein schon wegen der ständigen Übelkeit nicht in der Lage, etwas zu ignorieren. Sie verzweifelte daran, nicht zu wissen, ob wir entscheiden müssten und wie wir gegebenenfalls entscheiden würden.

Schließlich lag sie unter dem großen Ultraschallbildschirm. Deutlicher kann der Widersinn nicht werden: Das Wesen, das sich in der Gebärmutter behaglich räkelte, sollten wir töten dürfen – ein zwölfzelliger Embryo aber, kaum weiter gekommen als per Monatsblutung ausgestoßenes Eierzeug oder in Taschentücher onaniertes Sperma, soll absoluten Schutz genießen? Spätabtreibung erlaubt, PID verboten. Ein Wahnsinn.

Wir hätten wohl keine Abtreibung vorgenommen, auch wenn es anders gekommen wäre. Wir haben Glück gehabt, wir mussten die Entscheidung nicht treffen. Leo, unser zweiter Sohn, ist ein halbes Jahr alt, gesund und guckt Simon immer von seiner Spieldecke aus beim Inhalieren auf dem Gymnastikball zu.

Ich vermute, wir hätten uns damals gegen eine PID entschieden, selbst wenn sie in Deutschland erlaubt gewesen wäre. Ich weiß, dass wir uns, würden wir noch ein Kind wollen, heute dafür entscheiden würden. Andere Eltern mögen das anders diskutieren. Die Möglichkeit dazu sollte uns und ihnen gegeben sein. Niemand trifft eine solche Entscheidung leichtfertig. Und Eltern wie wir, die ja nur deshalb auf den Gedanken kommen, eine PID durchführen zu lassen, weil wir das Leben mit der Krankheit kennen, täglich organisieren und unsere gesamte Lebensperspektive darauf eingestellt haben, sind nicht die richtigen Adressaten für den Vorwurf, behindertes Leben ausgrenzen zu wollen. BERND PICKERT

NEIN

Auch mit einer Krankheit wie Mukoviszidose lässt sich ein erfülltes Leben führen – nicht zuletzt dank medizinischer Fortschritte. Dadurch wird die Präimplantationsdiagnostik (PID) fragwürdig. Schließlich ist es unmöglich, eindeutige Richtlinien für ihre Anwendung zu formulieren.

Mit Hilfe der PID könnten Paare, die das Risiko tragen, eine schwere Erkrankung zu vererben, gesunde Kinder bekommen. So werde schweres Leid für die betroffenen Familien vermieden, argumentieren die Befürworter. In diesem Zusammenhang wird auch die Mukoviszidose genannt.

Bei der Mukoviszidose bedingt ein genetischer Defekt, dass der Transport von Chlorid-Ionen und Wasser in den Zellen nicht funktioniert – mit gravierenden Folgen: Ein zähes Sekret verstopft die Zellgänge von Bronchien, Pankreas und Leber. Das Gewebe dieser Organe wird dadurch fortschreitend zerstört.

Mukoviszidose ist auch heute noch eine schwer wiegende Erkrankung. Sie verläuft progressiv. Der Betroffene muss von klein auf Tag für Tag an seiner Gesundheit arbeiten: Tabletten schlucken, inhalieren, krankengymnastische Übungen absolvieren, um die Lunge von zähem Sekret zu reinigen, später regelmäßige intravenöse Antibiotika-Behandlung akzeptieren. Die Lebenserwartung ist begrenzt. Manche Patienten versterben bereits im Kindesalter.

Trotzdem: Die Behandlung der Mukoviszidose hat in den letzten 15 Jahren immense Fortschritte gemacht. Ich selbst, inzwischen 46 Jahre alt, immer noch berufstätig, verheiratet, habe mehrmals erlebt, wie Neuerungen in der konventionellen Therapie meine Gesundheit und Lebensqualität entscheidend verbessert haben: Musste ich früher eine strenge fettfreie Diät einhalten, kann ich heute, dank neuer Enzyme, alles essen und genieße das sehr. Früher stand nur das Abklopfen des Brustkorbs als physiotherapeutische Hilfe zur Verbesserung der Lungenfunktion zur Verfügung. Damit war ich von der Hilfe meiner Eltern abhängig. Heute gibt es unterschiedliche Methoden, die ich selbst anwenden kann, wann und wo immer es nötig ist. Die Behandlung mit intravenös gegebenen Antibiotika kann ich, dank neuer Infusionssysteme, zu Hause durchführen. So bleiben mir wochenlange Krankenhausaufenthalte erspart.

Ich bin nicht mehr der absolute Ausnahmefall. 40 Prozent der Patienten sind heute über 18 Jahre alt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 32 Jahren. 75 Prozent der Betroffenen über 18 sind in der Ausbildung oder arbeiten.

Wir dürfen also mit Hoffnung in die Zukunft schauen. Darin bestärkt mich, dass im Bereich Mukoviszidose weltweit intensiv geforscht wird und dass Forscher und Ärzte eng vernetzt sind. Deutsche Patienten profitieren sehr schnell von neuen Erkenntnissen. Aus diesen Gründen bezweifelt der Mukoviszidose e.V., ob diese Erkrankung überhaupt noch eine Indikation für die PID darstellt.

An dieser Erkrankung lässt sich aufzeigen, wie schwer es ist, eindeutige Richtlinien zur Anwendung der PID zu formulieren. Damit, so befürchte ich, lässt sich die PID eben nicht auf wenige, individuelle Einzelfälle beschränken. Bei der Pränataldiagnostik ist es inzwischen Routine, dass Frauen ab einem bestimmten Alter entsprechende Tests nicht nur angeboten, sondern nahegelegt werden.

Schon jetzt erfahren die Familien Betroffener, wie sich das soziale Klima verschärft. So äußerte sich ein Vertreter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen gegenüber Eltern eines Mukoviszidose-Kindes im Zuge der Auseinandersetzung um Pflegegeld, dass sie doch selbst die Verantwortung für dieses Kind trügen und damit der Solidargemeinschaft familienunterstützende Leistungen nicht zumuten könnten. Andere fühlen sich unter Druck gesetzt. In der Diskussion „Wer darf leben?“ im Rahmen des taz-Kongresses Ende April brachte eine Teilnehmerin ihre Zweifel zum Ausdruck, ob sie überhaupt noch das Recht habe, in einer entsprechenden Situation Intensiv-Medizin in Anspruch zu nehmen, wo doch die Basisversorgung nicht mehr gesichert sei. Eine Freigabe der PID, befürchte ich, würde diese Tendenzen verstärken.

Lebensglück hängt nicht von einer makellosen Gesundheit ab. Bei entsprechender Unterstützung ist auch ein Leben mit chronischer Erkrankung lebenswert – darin sind sich die im Verband organisierten Erwachsenen mit Mukoviszidose einig. Dafür sollten die zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt werden.

Ich kann die Not von Eltern, die ein Kind mit schwerem Verlauf begleiten, gut nachvollziehen. Doch in Anbetracht der gesellschaftspolitischen und ethischen Implikationen stehe ich einer Einführung der PID äußerst kritisch gegenüber.

BIRGIT DEMBSKI