NS-Ermittler in der Schusslinie

Im Prozess gegen den früheren SS-Aufseher Anton Malloth übt Münchener Staatsanwalt Kritik an seinen Dortmunder Kollegen. Die Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Verbrechen, in der auch frühere NS-Anhänger arbeiteten, ermittelte oft ergebnislos

von BERND SIEGLER

Wenn Richter Jürgen Hanreich vom Landgericht München morgen sein Urteil im Mordprozess gegen den früheren SS-Aufseher Anton Malloth verkündet, werden einigen Staatsanwälten in der Dortmunder Anklagebehörde die Ohren klingen. Fast 30 Jahre lang haben sie ermittelt und eine Anklage gegen den 89-jährigen Aufseher des Gestapo-Gefängnisses „Kleine Festung Theresienstadt“ durch mehrere Verfahrenseinstellungen verhindert. Die Münchener Staatsanwälte benötigten dagegen nur wenige Monate, um Anklage wegen dreifachen Mordes und Mordversuchs zu erheben.

Der Münchner Staatsanwalt Konstantin Kuchenbauer scheute denn auch in seinem Plädoyer vor offener Kollegenschelte nicht zurück. „Jahrzehntelang hat sich niemand für noch lebende Zeugen interessiert“, kritisierte er die Dortmunder Staatsanwaltschaft. Diese hatte das Verfahren gegen Malloth 1979, 1990 und 1999 eingestellt: einmal wegen angeblich „unbekannten Aufenthalts“, obwohl Malloth in Italien lebte und seinen deutschen Pass seit 1968 regelmäßig verlängerte; dann „mangels hinreichender Verdachtsmomente“ gegen den SS-Aufseher. So spreche die „Verwendung eines Gummiknüppels gegen seinen bedingten Tötungsvorsatz“. Und schließlich wegen „nicht unerheblicher Zweifel an der Glaubwürdigkeit“ von Zeugen.

Im Mittelpunkt der Kritik steht der Dortmunder Oberstaatsanwalt Klaus Schacht, der für die letzten beiden Einstellungen verantwortlich zeichnete. Bei der Befragung der Zeugen aus Österreich und Tschechien versuchte das Münchener Landgericht Licht ins Dunkel der ergebnislosen Dortmunder Ermittlungen zu bringen. „Sie hatten den Eindruck, dass Herr Schacht kein rechtes Interesse hatte an Ihrer Aussage?“, wurde ein ehemaliger Häftling aus Theresienstadt gefragt. „Das ist richtig“, bestätigte dieser. „Ich hatte das Gefühl, dass Herr Schacht kein rotes, sondern braunes Blut in seinen Adern hatte.“

Schacht hat keine NSDAP-Vergangenheit, im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen, die ihren Dienst in den „Zentralstellen für die Bearbeitung nationalsozialistischer Massenverbrechen“ in Dortmund und Köln versahen. Von deren Gründung 1961 bis 1972 war die Dortmunder Zentralstelle fest in der Hand früherer NS-Juristen, wie eine große Anfrage der nordrhein-westfälischen Grünen im Juni 1995 ergab. Alle drei Leiter waren ehemalige NSDAP- und SA-Mitglieder. Acht Staatsanwälte hatten bereits im NS-Staat Karriere gemacht. Von den bis 1995 anhängigen 1.296 Verfahren wurde nur in 55 Fällen Anklage erhoben – gegen 158 von insgesamt 24.275 Beschuldigten. Die Liste der eingestellten Verfahren ist lang – darunter auch das gegen den SS-Hauptsturmführer Erich Priebke, der 1998 in Rom wegen des Massakers in den Ardeatinischen Höhlen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Auch der frühere SS-Hauptsturmführer und Sicherheitschef von Mailand, Theodor Saevecke, kam in Dortmund gut weg. Seine Behauptung, er habe „nicht gewusst, dass Juden, die im Bereich des Außenkommandos Mailand festgenommen worden seien, später getötet werden“ sollten, sei nicht zu widerlegen, hieß es bei der Verfahrenseinstellung 1971. Bei einem neuerlichen Verfahren sahen sich die Dortmunder Ermittler außerstande, belastendes Material aufzutreiben. Für die italienischen Staatsanwälte war dies kein Problem. Sie beschafften sich im Public Record Office in London die Verhörprotokolle von Saeveckes Mitarbeiter. 1999 wurde Saevecke in Turin wegen 15-fachen Mordes verurteilt.

„Die beiden Zentralstellen haben eine beschleunigte Aufklärung und energische Durchführung der Strafverfahren gegen NS-Verbrecher vereitelt“, urteilt die ehemalige Landtagsabgeordnete der Grünen, Brigitte Schumann, aus Essen. Auf ihre Initiative hat der nordrhein-westfälische Justizminister 1996 eine Studie zur Arbeit der Zentralstellen in Auftrag gegeben. Es müsse „in einigen Fällen bezweifelt werden, ob die Überführung der Beschuldigten aufgrund der Beweislage so eindeutig aussichtslos war, wie es die Staatsanwälte einschätzten“, heißt es in dem Abschlussbericht.

Besonders im Fall Malloth hat Schumann mit Anfragen unentwegt nachgebohrt. Dass Dortmund den Fall nach neuen Zeugenaussagen im Februar vergangenen Jahres nach München abgab, ist für Schumann „ein unmissverständliches Eingeständnis des Desinteresses“. Sie sei aber „außerordentlich froh“, dass nun die Münchner Staatsanwaltschaft zum Zuge gekommen sei und sich des Falles habe „engagiert annehmen können“.