Jahrhundertreform mit Mängeln

Ende Mai soll das Bundeskabinett das neue Dienstrecht für Professoren diskutieren. Aber noch immer hat das wichtigste Reformprojekt der Hochschulen seit Humboldts Zeiten schwere Mängel: ruinöse Leistungsanreize und eine halbe Habilitation

von CHRISTIAN FÜLLER

Es ist die wohl wichtigste Reform der Hochschulen seit Wilhelm von Humboldts Zeiten. Anfang des 19. Jahrhunderts begründete der liberale Adlige die Universität der Moderne: Er schickte die Gelehrten aus ihren Akademien in die Universität, damit sie dort gemeinsam mit den Studierenden Wissenschaft als Bildung veranstalten. Diese Professoren sollen nun, 200 Jahre nach ihrer Erfindung, ein neues Dienstrecht bekommen. Nicht mehr die Lust nach Erkenntnis soll Profs künftig anstacheln – sondern Jugendlichkeit und pekuniäre Leistungsanreize. (siehe rechts)

Wenn Bund und Länder die – so der amtliche Titel – „Dienstrechtsreform“ akzeptieren, sollen Profs in Deutschland künftig jünger, effizienter, internationaler sein. Ende Mai schon wird das Bundeskabinett die Jahrhundertreform diskutieren. Aber immer noch ruft sie bei fast allen Beteiligten Abstoßungsreaktionen hervor. Was auf den ersten Blick wie der übliche Streit der Bedenkenträger anmutet, erweist sich bei genauem Hinsehen als ein schludrig verhandeltes Reformwerk.

Man hat das Gefühl, sagt Hamburgs Wissenschaftssenatorin Krista Sager (Bündnis 90/Die Grünen), „dass hier jemand auf Teufel komm raus ein Ergebnis erzielen will“. Das wäre eigentlich nicht nötig. Denn im Prinzip wollen alle die Dienstrechtsreform (abgesehen von den Fundamentalkritikern, den amtierenden Professoren.) Die tatsächlich negativ Betroffenen aber sind die neuen Länder und Nachwuchswissenschaftler in der Habilitationsphase. Beide stehen buchstäblich vor dem Ruin, wenn zwei wesentliche Regelungen der Reform so verabschiedet werden, wie sie derzeit im Referentenentwurf des Bildungs- und Forschungsministeriums von Edelgard Bulmahn (SPD) stehen. Im Mittelpunkt der Kritik: der „Vergaberahmen“ und die Habilitation.

Vergaberahmen: Um Leistungsanreize finanzieller Art vergeben zu können, sollen Professoren künftig auf das Grundgehalt eine variable Gehaltskomponente aufstocken können. Damit die Länder genug Spielraum für den dadurch ausgelösten Wettbewerb um Professoren haben, will Bulmahn den Vergaberahmen einführen. Er bezieht sich auf die Gesamtausgaben für Professoren je Bundesland. Diese Ausgaben soll jedes Land pro Jahr um zwei Prozent anheben können. Das ist mehr, als sich viele Länder leisten können.

Ein Bundesland wie Bayern etwa hat einen doppelten strukturellen Vorteil: Bayern hat derzeit viele vom Alter und von der Dotierung her gut bezahlte Hochschullehrer – wenn bald der Generationswechsel auf den Lehrstühlen eingeläutet wird, hat Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) also einen großen Spielraum für die Vergabe von Leistungsprämien. Ohnehin steht der Südstaat wegen seiner exquisiten Finanzlage gut da. Er kann Klotzen im künftigen Wettbewerb um junge Wissenschaftler. Kleckern müssen hingegen Länder wie Sachsen-Anhalt. Der dortige Wissenschaftsminister Gerd Harms hat eine schlechtere Altersstruktur auf den Lehrstühlen. Und sein Finanzminister ist jetzt schon kaum in der Lage, finanzielle Leistungsanreize zu vergeben.

Für Harms kommt ein weiteres Problem hinzu: Die Hochschulen Sachsen-Anhalts zahlen noch Osttarif – das sind derzeit knapp zehn Prozent weniger, als der Westtarif ausmacht. Harms muss also aufholen – nach der Dienstrechtsreform wird sich der Abstand aber noch vergrößern. Wolfgang Eichler (SPD), Wissenschaftsstaatssekretär in Sachsen-Anhalt, schätzt, dass in den kommenden zehn Jahren die Ausgaben für Professorengehälter um 25 Prozent steigen werden. Wird der jetzige Stand der Reform Gesetz, so befürchtet Eichler, „dann können wir aus unserem Wissenschaftsetat nur noch das Personal bezahlen – sonst nichts mehr.“

Für Sachsen-Anhalt wäre das eine fatale Situation: Kein Land erlebt durch Abwanderung auch junger Menschen einen so großen Bevölkerungsschwund wie die Region zwischen Stendal im Norden, Magdeburg im Zentrum und Merseburg im Süden. „Wenn wir aus dem Knick kommen wollen“, sagt Eichler, „müssten wir mehr für Wissenschaft und Bildung insgesamt tun – um für junge Leute attraktiv zu sein.“

Habilitation: Auch der bislang geplante Umgang mit der Habilitation (Habil) wirft Nachwuchsprobleme auf. Die Habil soll nach den Buchstaben des Reformentwurfs als überkommene Qualifizierungsanforderung für Nachwuchswissenschaftler an Bedeutung verlieren – aber sie soll nicht ganz abgeschafft werden. Das bedeutet, dass jene Forscher in eine unsichere Situation geraten, die derzeit habilitieren. Sie schreiben an dem seit Jahrhunderten für eine Professur verlangten „großen Buch“, wissen aber nicht, welchen Wert dieses im Schnitt fünf bis sechs Jahre dauernde Projekt noch haben wird. Das Reformgesetz gibt in seiner jetzigen Fassung zwar klar den nur promovierten jungen Nachwuchswissenschaftlern den Vorzug. Der deutsche Fakultätentag und die Standesvertretung der Professoren beharren aber darauf, auch künftig die Habil als Qualifikation zu bevorzugen.

Die heutigen Habilitanden also können gar nicht wissen, was nun eigentlich gilt. Sie befürchten, dass sie letztlich aus finanziellen Gründen die Verlierer der Dienstrechtsreform sein werden. Die für sie als Zwischenstation vor der ordentlichen Professur vorgesehenen C2-Stellen werden abgeschafft – und zur Finanzierung der künftigen W1-Stellen verwendet. Die aber sind laut Gesetz nur im Ausnahmefall für Habilitierte vorgesehen.

„Wir sind eindeutig für die Abschaffung der Habilitation“, sagt Mike Sandbothe, der einer Initiative von Nachwuchswissenschaftlern (www.wissenschaftlichernachwuchs.de) angehört, „es geht aber um den Modus der Abschaffung“. Sandbothe, der habilitiert ist und derzeit eine C2-Stelle in Jena innehat, appelliert, die Habilitanden nicht zu vergessen: „Es wäre dumm, diesen Leute die Perspektive zu rauben – man hat schließlich auch viel Geld in ihren Qualifikationsweg investiert.“