Studenten-„Kongress“ soll Kursänderung bringen

90 Studi-Vertreter legen in Münster die Idee ad acta, Kommilitonen als revolutionäres Potenzial zu betrachten. Stattdessen: gute Argumente für alle

„Wir müssen uns davon verabschieden, die Mobilisierung von Massen im Kopf zu haben“

MÜNSTER taz ■ Weder radikale Kampfansage an den bildungspolitischen Mainstream noch Abkehr von bisherigen altlinken Positionen: Eher nüchtern verlief der Kongress „Bildung und Gesellschaft“, mit dem linke StudentenaktivistInnen statt ewiger Abwehrkämpfe neue Impulse für die Hochschulpolitik finden wollten. Ergebnis: Die Ziele der Studenten bleiben die gleichen, begründen wollen sie ihre Forderungen nach Demokratie, Gebührenfreiheit und allgemeinem freien Bildungszugang künftig aber besser.

Die Studentenaktivisten fühlten sich gestärkt, obwohl sie – wie so oft – die geplante Abschlusserklärung ihres Kongresses verschoben. Die vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) und dem freien zusammenschluss der studierendenschaften (fzs) am vergangenen Wochenende in Münster organisierte Veranstaltung war eher eine Fachtagung – und kein Strategietreffen für den so oft zitierten heißen Herbst. Vorträge und Diskussionsforen zu bildungspolitischen Sachthemen standen im Vordergrund. Gekommen waren 90 Studentenvertreter – Studis aus Fachschaften, Studentenausschüssen und politischen Hochschulgruppen. Schon äußerlich muteten die eher links an: überdurchschnittlich viele Langhaarige und Barfüßler, dazwischen Laptops und Mobiltelefone als zeitgemäße Aktivistentools. Wer älter schien als 35, war Referent und musste sich aufs Siezen gefasst machen.

Einführend diskutierten drei Studis mit Johannes Wildt vom Hochschuldidaktischen Zentrum Dortmund und dem GEW-Vorstandsmitglied Gerd Köhler über „Das Erbe der ersten Bildungsreform“. Deren Ziele – Demokratisierung der Hochschulen, Bildung für alle – seien zu weiten Teilen bis heute nicht verwirklicht, lautete dort die Bilanz. An diesen Zielen wollen die Studis aber trotzdem festhalten – im Gegensatz, wie sie meinten, zu Bildungspolitikern, die sich (nur) an ökonomischen Kriterien orientierten. Munition für die Opposition lieferte der Vortrag von Volkswirt Gerhard Wohlfahrt, der in einer Studie für das Deutsche Studentenwerk die Hochschulfinanzierung durchleuchtet hatte: Wirtschaftlich machten Studiengebühren demnach keinen Sinn.

Auch der allgegenwärtige Terminus des „lebenslangen Lernens“ wurde neu definiert: Er bedeute ein Anrecht auf Bildung, nicht nur den Zwang zur dauernden Anpassung an die Bedürfnisse der Wirtschaft. Also am Ende alles beim Alten – böse Wirtschaft gegen gute Studis? Mit den gesammelten Argumenten sollen nach Meinung von ABS-Geschäftsführer Olaf Bartz nicht nur die Mitstudenten überzeugt werden. Er sieht den Kongress als Kursänderung in der studentischen Interessenvertretung: „Wir müssen uns endlich davon verabschieden, als Ziel immer die Mobilisierung von Massen auf der Straße im Kopf zu haben“, forderte er. Für Demos seien nur in Ausnahmefällen genügend Kommilitonen zu gewinnen. Stattdessen müssten Politik und Verwaltung von studentischen Reformkonzepten überzeugt werden.

fzs-Sprecherin Nicola Völckel forderte, Studierende müssten verstärkt nach Verbündeten im Hochschulbetrieb suchen. Andere meinten hingegen, nur radikale Opposition führe zu Veränderungen. „Romantiker“ scholl es von der Gegenseite zurück.

Vision und Desillusion hielten sich auf dem Kongress die Waage. Insgesamt dominierten die Informationen – was die meisten Teilnehmer positiv nahmen. Die Ergebnisse sollen in einem Kongressreader gesammelt werden. Häufig fiel am Rande der Debatten das Stichwort „Dachverband“: Erkennbar viele hofften, dass der fzs im Zuge seiner geplanten Reformen weitere Unis als Mitglieder gewinnt und sich so zu einer ernstzunehmenden bundesweiten Studentenvertretung entwickelt. FIETE STEGERS