Türkische Wirtschaft steht etwas auf

Neues Wirtschaftsprogramm senkt Ausgaben um neun Prozent. Börse reagiert positiv. IWF stellt eingefrorene und neue Milliardenkredite in Aussicht. Betroffen von Kürzungen sind vor allem Staatsangestellte und Bauern. Proteste verliefen friedlich

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Der Ostermontag war für die türkische Ökonomie zwar nicht der Tag der Auferstehung, aber doch der erste Tag seit langem, der wieder Hoffnung auf Besserung versprach. Nachdem der für Wirtschaft und Finanzen zuständige Minister, Exweltbankvize Kemal Dervis, am Samstagmittag sein seit Wochen erwartetes „Nationales Wirtschaftprogramm“ vorgestellt hatte, gingen die Börsenwerte gestern nach oben und der Preis für einen Dollar sank von 1.220.000 auf 1.175.000 türkische Lira. Außerdem sorgte die Ankündigung der Zentralbank, man werde den Dollar für 1.150.000 Lira verkaufen, für leichten Optimismus.

Noch wartet die türkische Wirtschaft allerdings darauf, dass der Internationale Währungsfond (IWF), die Weltbank und die G-7-Länder offiziell verkünden, dass sie der Türkei neue Milliardenkredite gewähren. Bislang ist lediglich geklärt, dass der IWF nun 6,5 Milliarden Dollar, die bereits im letzten Abkommen vereinbart waren und nach dem Crash im Februar auf Eis gelegt wurden, nun freigeben wird. Das neue Stand-by-Abkommen mit dem IWF soll am 28. April unterzeichnet werden. Und erst dann wird man wissen, ob die Türkei ihre Schulden rechtzeitig begleichen wird.

Kern des Programms, das Dervis am Samstag vorstellte, ist die Senkung der Staatsausgaben um neun Prozent. Diese Kürzung wird hauptsächlich auf Kosten der Angestellten im öffentlichen Dienst und der Bauern gehen. Den Staatsangestellten, die einen überproportional großen Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung ausmachen, wurde bereits eine Nullrunde bei den kommenden Tarifverhandlungen angekündigt, was angesichts einer prognostizierten Inflation von 58 Prozent ein erheblicher Einkommensverlust ist. Viele Landwirte leben davon, dass der Staat ihre Ernte zu einem festgelegten Preis, der in der Regel über dem Weltmarktniveau liegt, aufkauft. Das ist nun vorbei. Das staatliche Tabak- und Zuckermonopol Tekel wird privatisiert, die Subventionen werden gestrichen.

Entsprechend verärgert reagierten die Gewerkschaften. Bayram Meral, Chef des größten Gewerkschaftsdachverbandes Türk-Is sagte, das Programm enthalte für die Arbeiter keine einzige positive Nachricht und unterscheide sich nicht von den früheren vom IWF diktierten Programmen. Zeitgleich mit dem Auftritt von Dervis demonstrierten landesweit in 50 Städten mehr als 100.000 Menschen auf von den Gewerkschaften organisierten Kundgebungen. Angeheizt wird der Ärger der Bevölkerung noch durch Enthüllungen, denen zufolge der Zentralbankchef und der Chef der größten staatlichen Bank, der Ziraat-Bank, zwei Tage vor Freigabe der Wechselkurse ihr privates Vermögen in Dollar getauscht haben. Allerdings blieb es am Wochenende bis auf kleinere Auseinandersetzungen im Osten friedlich.

Die positivste Nachricht der letzten Tage ist, dass auch der Rüstungssektor nicht ungeschoren bleibt. Für den Zeitraum der kommenden zehn Jahre sollen Rüstungsprojekte im Wert von 19,5 Milliarden Dollar gestrichen werden, unter anderem der Kauf und die Produktion des umstrittenen deutschen Panzers Leopard II. Als weitere gute Nachricht kündigte Dervis an, dass es keine Steuererhöhungen geben wird, was vor allem für die Industrie relevant ist. Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf dem Export und den Touristen. Während bereits absehbar ist, dass die Türkei in diesem Jahr einen Touristenboom erleben wird, stehen hinter dem Export große Fragezeichen. Solange die Wirtschaft kaum produziert, gibt es auch nichts zu exportieren. Die Produktion läuft aber erst wieder an, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen sich stabilisiert haben. Ausländische Fondsmanager, die dazu Geld ins Land bringen müssten, sind aber weiterhin skeptisch und raten ihren Kunden vom Kauf türkischer Staatsanleihen ab, selbst wenn sie hoch verzinst werden.