Meine Wohnung

Eine Geschichte von Robert Naumann

Ich studierte wie so oft den Immobilienteil der Zeitung, da sprang mir diese Annonce ins Auge: „Weißensee: junge, freche Wohnungen ...“ Kommt für mich nicht in Frage! Ich werde mich hüten, in einer Wohnung zu wohnen, von der man dauernd frech angemacht wird. Man sitzt gerade gemütlich auf dem Sofa, hat sich ein Bier aufgemacht, da sagt die Wohnung ganz frech: „Blödmann!“ Nein, das habe ich nicht nötig, mich mit einer pubertierenden, derart respektlosen Wohnung herumzuärgern.

Meine Wohnung ist total nett. Nur leider zu klein. Aber sonst, ein echter Kumpel. Sie hat noch nie „Blödmann“ zu mir gesagt. Einmal hab ich Tomatensauce gekocht und vergessen, den Deckel dranzumachen. Die ganze Sauce ist an die Küchenwände gespritzt. Das tat mir irgendwie Leid und ich sagte: „Verzeihung, Wohnung.“ Damit war der Fall erledigt. Meine Wohnung ist nicht nachtragend. Nur leider zu klein. 70 m[2]. Für fünf Personen! Und zwei Katzen! Das sind dann pro Person oder Katze 10 m[2]. Da kann man sich ja nicht mal lang hinlegen!

Außerdem ist meine Frau Sammlerin. Sie sammelt alles. Dosen, Stühle, Tische, Videokassetten, leere Alete-Gläschen, Zeitschriften, Klamotten, Schuhe, Telefonbücher, Klaviere, einfach alles. Die ganze Wohnung ist voll von dem Zeug. Ein Gang durch unsere Wohnung gleicht einem Hürdenlauf. Immerhin, man bleibt fit. Im Prinzip ist kein Gegenstand nutzbar. Will man irgendetwas benutzen, muss man erst mal den halben Tag lang alles Mögliche beiseite räumen, um an das begehrte Teil zu gelangen.

Meine Frau findet das alles furchtbar gemütlich. Na ja. Ich war mal so wütend, dass ich ihr den Kopf einschlagen wollte, mit dem Hammer. Aber dann hab ich den halben Tag damit zugebracht, den Hammer hervorzukramen, da war meine Wut schon wieder verraucht. Hat meine Frau Glück gehabt.

Manchmal will ich meine Frau auch küssen. Dann geh ich sie suchen und rufe zwischendurch immer wieder: „Schatz, wo bist du.“ Dann ruft meine Frau irgendwann: „Hier bin ich, in der Ecke! Du musst nur über den Tisch klettern, dich am Regal entlanghangeln und an den Alete-Gläschen langsam hinabgleiten lassen.“ Da hab ich keine Lust mehr, meine Frau zu küssen.

Meine Kinder habe ich schon längere Zeit nicht mehr gesehen, aber ich höre oft ihre Stimmen. Manchmal rufen sie nach mir, wenn ich abends nach Hause komme, und fragen, wann ich sie mal wieder besuchen komme.

„Vielleicht treffen wir uns ja!“, rufe ich ihnen zu, während ich mich auf den Weg in die Küche mache. Es ist ein Uhr morgens, als ich dort ankomme. Ich habe gerade noch Zeit, ein Bier zu trinken und mir Stullen zu schmieren, dann muss ich mich auf den Rückweg machen, um früh pünktlich um sieben Uhr an der Wohnungstür zu sein.

Gestern ging dann die Wohnungstür nicht mehr auf. Ich stand draußen und stemmte mich dagegen, aber es war nichts zu machen. Meine Frau rief mir von drinnen zu: „Tut mir Leid, Schatz, aber im Flur steht jetzt das neue Klavier, war im Sonderangebot, ich hab mir deine Geldkarte mal ausgeborgt, nicht böse sein, ja!?“

Ich bin gegangen. Ich suche mir eine neue Wohnung. Vielleicht sogar eine junge, ganz doll freche.