Ohne jede Emotion

■ Morgen: Thomas Glavinic liest aus seinem Roman „Der Kameramörder“

„Zu den bisher bekannten Umständen des Verbrechens wurde ein Psychologe befragt. Rasch herrschte im Zimmer Einigkeit, seinen Äußerungen sei nichts Vernünftiges zu entnehmen.“ Diese Sätze seines Ich-Erzählers hat sich Thomas Glavinic in Der Kameramörder, seinem dritten Roman, zum Programm gemacht. Wohl selten hat Literatur – zumal solche über Verbrechen – konsequenter darauf verzichtet, in der Mottenkiste der Psychologie nach Erklärungen für das Handeln eines Täters zu kramen.

Der Erzähler und seine „Lebensgefährtin“, wie er sie stets nennt, besuchen an einem ungewöhnlich heißen Osterwochenende ein befreundetes Paar, das sich kürzlich in der Steiermark niedergelassen hat. Am Tag ihrer Ankunft ereignet sich in der Gegend ein grausames Verbrechen: Ein Mann brachte drei Kinder in seine Gewalt, zwang zwei von ihnen, sich selbst umzubringen und hat darüber hinaus das Geschehen mit der Videokamera aufgezeichnet. Was zunächst wie eine Auseinandersetzung mit dem Big-Brotherismus, der Sensationslust von Medien und Publikum aussieht, entpuppt sich bald als fesselnder Krimi. Der Mörder hat offensichtlich die Gegend der Tat nicht verlassen, und die Polizeitruppen ziehen ihre Kreise immer enger um das Haus, in dem sich die vier aufhalten.

Geschickt hantiert Glavinic mit den Mitteln des Suspense, etwa wenn der Gang zum Weinholen in den Keller, offene Fenster oder ein Rumpeln im Obergeschoss seinen Personen zur Tortur werden. Viel größere Spannung erzeugt aber die Sprache des Erzählers selbst. Es ist eine teils altertümliche, bemühte Schriftsprache in protokollarischem Stil, vor allem aber ist sie bar jeder Emotionen.

Glaubt man dem Bericht, hat der Erzähler an den Gesprächen um den Mord und die Ermittlungen, die die vier gebannt vor dem Fernseher verfolgen, kaum einmal teilgenommen. Zwischen wichtigen und unwichtigen Ereignissen trifft seine Sprache keine Unterscheidung – was bisweilen unglaublich komisch ist –, nichts wird von ihm moralisch bewertet. Keine der Personen wird auf Vergangenheit oder Zukunftspläne hin befragt, wie es die Psychologie des klassischen Erzählens verlangt. Auf die drängende Frage „Was ist das für ein Mensch?“, die die Fühllosigkeit des ohne Absatz und Kapitel Berichtenden aufwirft, gibt das Buch bis zum Ende keine Antwort. Und das ist es, was seine Qualität ausmacht. Christiane Müller-Lobeck

Lesung morgen, 20 Uhr, Zentralbibliothek der Öffentlichen Bücherhallen, Große Bleichen 25

Thomas Glavinic: Der Kameramörder, Verlag Volk & Welt Berlin, 2001, 157 S., 32 Mark