Wenn die Fatwa droht

Das taz-Ressort „Die Wahrheit“: Damit Komik entlarvend wirkt, müssen Regeln verletzt werden

von MICHAEL RINGEL

Am Mittwoch erschien auf der Wahrheit-Seite unter dem Titel „Mullahs immer klüger“ ein Artikel über indische Muslime, die das Fernsehen für das verheerende Erdbeben vor drei Wochen verantwortlich machten und daraufhin ihre TV-Geräte zerstörten. Der Schlusssatz des Textes lautete: „Allah ist groß, Allah ist mächtig, er hat einen Arsch von drei Meter sechzig.“

Kaum war der Vers weggedruckt, hagelte es Beschwerden: „Sie haben kein Recht, durch Beleidigungen und herabwürdigende Äußerungen Millionen von Muslimen in Deutschland in ihren religiösen Anschauungen zu verletzen“, schrieb ein Schwerverletzter. Viele Beleidigte verlangten eine Entschuldigung: „Ich erwarte, dass die taz sich für diese bedauerliche Passage auf niedrigstem Niveau entschuldigt.“ Auf niedrigstem Niveau entschuldigen? Kein Problem: Tschuldigung.

Der zitierte Kinderreim ist nicht neu und existiert in mehreren Formen, wie schon in Peter Rühmkorfs 1969 erschienenem Werk „Über das Volksvermögen“ nachzulesen ist: „Allah ist groß, Allah ist mächtig, wenn er auf den Stuhl steigt, ist er ein Meter sechzig“ oder „Allah ist mächtig, Allah ist groß, fünf Meter sechzig und arbeitslos“. Diese komischen Verse stehen in der Tradition der „Pfarrerverse“, die ihren Witz daraus beziehen, dass religiöse Figuren mit unerwarteten, meist sexuellen Motiven konfrontiert werden: „Der Pfarrer von Kempten / der stärkt seine Hemden / mit eigenem Samen / in Gottes Namen / Amen“ oder: „Der Pfarrer von Loretto / dem seiner wiegt netto / zwei Kilo ein Pfund / sonst ist er gesund“.

Solche Scherzreime haben eine Art Blitzableiterfunktion, indem sie die Macht der Religion unterlaufen und ihre Zwanghaftigkeit ins Lächerliche kippen lassen. Wie auch der „Allah ist groß“-Vers, der im Kontext des Erdbebentextes eines zeigen sollte: Wenn Muslime so infantile Reaktionen auf eine Naturkatastrophe zeigen, indem sie TV-Geräte zerstören, dann muss man sich mit Hilfe kindisch alberner Komik fragen, was denn das für ein seltsamer Gott ist, der sich solche Anhänger wählt. Anhänger, die dem Autor für diesen antireligiösen Scherz die Fatwa an den Hals wünschen und in ihrer hysterischen Aufregung übersehen, dass es sich nicht, wie behauptet, um eine rassistische Äußerung handelt.

In der taz gibt es regelmäßig eine breite Berichterstattung über Muslime und ihre politischen Organisationen, die selbstverständlich auch auf ihre Religion eingeht. Es gibt in der taz allerdings eine Tradition der antireligiösen Kritik, die der Tradition der Aufklärung verpflichtet ist. Diese aufgeklärte Vernunft wendet sich gegen jede zwanghafte Form von Religion. Die Satire ist ein Kind der Aufklärung. Und so gehört zum Leben in einer multikuturellen Gesellschaft auch das Verständnis dieser säkularen Tradition, die nicht nur das herrschende Christentum, sondern auch den Islam in die Satire einbezieht. Es ist eher eine Form der Anerkennung, wie wichtig in unserer Gesellschaft die drittgrößte Religionsgruppe geworden ist. Statt sie auszugrenzen, werden Muslime genauso behandelt wie andere Gläubige auch.

Damit Komik entlarvend wirkt, müssen Regeln verletzt werden. Vor allem jene Regeln, die angeblich von einer höheren Macht aufgestellt wurden und in deren Auftrag Glaubensritter anderen Menschen etwas wegnehmen oder verbieten wollen. Es gibt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und Albernheit. Dem allein ist die Wahrheit verpflichtet. Dass allerdings demnächst wegen des Abdrucks dieses komischen Kinderreims sogar eine Demonstration vor der taz-Vertretung in Bochum geplant ist, wie einer der empörten Briefeschreiber mitteilt, macht die Arbeit der Wahrheit fast überflüssig, entlarvt sich der Vorgang doch selbst als Satire.

Leider produzieren aber nicht alle Wahrheit-Kandidaten eigenhändig solche Satiren auf sich selbst. Deshalb braucht es immer noch die Wahrheit und die taz, die als einzige Tageszeitung die satirische Form der Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Wirklichkeit ermöglicht.