„Kaum eingeschränkte Aktivitäten“

Bernd Wagner über die rechtsextremistische Szene in Brandenburg und die Gegenstrategien der Polizei

taz: Gibt es Ihres Wissens nach rechtsterroristische Strukturen in Brandenburg?

Bernd Wagner: Die Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, weil es auch um die Definition des Begriffs terroristisch geht. Es gibt jedenfalls Hinweise auf kleine Gruppierungen, deren Ideenwelt terroristische Gewalt beinhaltet und die auch Überlegungen anstellen, wie man terroristische Gewalt ausüben kann. Es gibt Straftaten, die ich als niederschwellige terroristische Aktivitäten bezeichnen würde. Sie richten sich zielgerichtet gegen bestimmte Opfergruppen bzw. auf deren Existenzgrundlage – wie bei Anschlägen auf Imbisse. Dazu zählen für mich auch die Aktivitäten der „Nationalen Bewegung“ in Potsdam. Aber nicht im Sinne einer Roten Armee Fraktion oder eines Kay Diesner.

Vom Innenministerium wird behauptet, bei der „Nationalen Bewegung“ handele es sich um die erste rechtsextreme Gruppierung in Brandenburg, die quasi terroristisch vorgehe.

Es gab in der Vergangenheit immer wieder Ansätze in diese Richtung in Brandenburg, beispielsweise im Bereich der so genannten Anti-Antifa-Aktivitäten und im Zusammenhang mit Gruppierungen der „Nationalistischen Front“ (NF). Hinzu kommt das ganze Problemfeld „Nationaler Aktionsgruppen“, also die Strategie aus dem Umfeld der NF heraus. Auch Aktivitäten von „Blood & Honour“ muss man dazu rechnen sowie deren Verbindungslinien in Richtung Berlin und Gruppierungen der ehemaligen „Deutschen/Nationalen Alternative“, also die Anti-Antifa Berlin. Ein anderes Beispiel ist der Anschlag auf die jüdische Baracke der Gedenkstätte Sachsenhausen Anfang der 90er-Jahre, wo die Hintergründe nicht aufgeklärt werden konnten.

Gab es auch in Potsdam rechte Gruppierungen, die dem militanten Spektrum zuzuordnen waren, bevor die „Nationale Bewegung“ aufgetaucht ist?

Es gab in den letzten zehn Jahren immer wieder Gruppierungen in Potsdam und Umgebung, die ein militantes Level aufbauten. Bis zum Verbot 1995 existierte eine sehr funktionsfähige Gruppierungen der Wiking-Jugend in Potsdam, die auch in dieser Richtung aktiv war. Für mich gehört auch die Band Proissenheads dazu, die dem militanten Hardcorespektrum der rechten Szene zuzurechnen ist. Die Proissenheads haben in dem Jugendclub, wo sie sich lange Zeit aufhalten durften, eine Dominanz der Szene herstellen können. Das hat in Kreisen junger Leute in Potsdam Wirkung hinterlassen.

Stichwort: „Nationalistische Front“ (NF). Vergangenen Sommer wurde in Königs Wusterhausen und Berlin eine so genannte „Nationalrevolutionäre Zelle“ ausgehoben, zu der unter anderem ehemalige NF-Mitglieder und ein Informant des Potsdamer Verfassungsschutzes gehörten. Dabei wurden scharfe Waffen, Rohrbomben und Pläne für Anschläge gegen „politische Gegner“ gefunden. Doch mittlerweile befinden sich bis auf einen alle Beteiligten wieder auf freiem Fuß.

Ich kenne die Ermittlungshintergründe von Polizei und Staatsanwaltschaft zwar nicht. Aber bei der ganzen Geschichte bleiben viele Fragen offen. Ich empfinde das Ganze jedenfalls als ein sehr eigentümliches Signal an die Szene. Nach dem Motto: Man kann sich so viel leisten, wie man will, und der Staat reagiert kaum.

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm propagiert einen harten Kurs gegen rechts. Hat er damit Erfolg?

Die Dimension und Aktivitäten der rechtsextremen Szene sind nicht wesentlich eingeschränkt worden. Es gab zwar durch polizeiliche Aktivitäten in regionalen rechten Zusammenhängen Veränderungen. Aber durchschlagende Wirkungen kann ich bisher noch nicht erkennen. Es ist auch eine Illusion, zu glauben, dass man die Gesamtproblematik mit polizeilich-juristischen Maßnahmen beheben kann. Man kann vielleicht die Entwicklung in Richtung Militanz verlangsamen. Aber insgesamt ist das sehr schwierig, zumal rechtsextreme Ideologie in immer wieder neu entstehenden Gruppierungen unterschiedlicher Altersstufen sehr schnell in Gewalt umschlägt. Aus meiner Sicht ist die gesellschaftliche Auseinandersetzung besonders wichtig. Vor allem auf der Ebene der Kommunen.

Gibt es dafür auch in Potsdam Nachholbedarf?

Ich glaube, in Potsdam besteht Handlungsbedarf, wenngleich nicht zu verkennen ist, dass hier in den letzten Jahren einiges geleistet wurde. Aber angesichts der Gesamtsituation sollte das Thema Rechtsextremismus auf der Agenda der kommunalpolitischen Debatte doch einen anderen Stellenwert erhalten.

INTERVIEW: HEIKE KLEFFNER