Die Erotik des Safe-Knackens

Warum überfallen eigentlich nicht mehr Menschen Banken? Der Band „Va banque“ versammelt Beiträge zu Theorie und Praxis des Bankraubs – und verortet das Delikt in kollektiver Fantasie

Nicht die Täter sind pathologisch. Sondern die Gesellschaft, in der sie leben

von MICHAEL SAAGER

Adam Worth, John H. Dillinger, Bonnie und Clyde, Jacques Mesrine. Sie alle waren Bankräuber, berühmte sogar. Ihr Ruhm gründete sich auf Geschick und Dreistigkeit. Ihre Motive dagegen waren banal. So gestand Jacques Mesrine, ein Meister des Metiers in seiner Autobiografie „Der Todestrieb“: „Ich muss aufrichtig sagen: Ich liebe das Geld. Ich bin nicht fähig, mit 2.500 Franc im Monat zu leben.“

Trotz solch banaler Letztbegründung beflügelt der Bankraub „seit jeher die Fantasie“, wie der Kulturwissenschaftler Klaus Schönberger weiß. „Wer der Arbeit überdrüssig ist oder in finanziellen Schwierigkeiten steckt, träumt von einem Lottogewinn oder fantasiert von dem Veränderung versprechenden Bankraub.“

Mit der Diagnose einer kollektiven Fantasie erklärt Schönberger zugleich die erstaunliche Sympathie der Öffentlichkeit, auf die Bankräuber nach einem gelungenen Überfall oder Einbruch hoffen dürfen, wie sich etwa im Falle des aus Dakota stammenden John H. Dillinger zeigte. Dillinger gelangte zu Berühmtheit, weil er während eines Überfalls schon mal den einen oder anderen Schuldschein braver Bürger mitgehen ließ. Im Juli 1934 wurde er, drei Wochen nach seinem letzten Überfall, nach einem Kinobesuch von zwei Polizisten hinterrücks erschossen. Angeblich versammelten sich vor dem Kino hunderte von Menschen und tauchten ihre Taschentücher in sein Blut, nur um einen Teil von ihm mit nach Hause nehmen zu können.

Klaus Schönberger ist Herausgeber eines kürzlich erschienenen Sammelbandes: „Va banque! Bankraub – Theorie, Praxis, Geschichte“. In diesem Buch folgen er und 38 weitere Autoren den Spuren des Phänomens. Sie liefern Porträts berühmter und weniger bekannter Bankräuber, erzählen Anekdoten und denkwürdige Begebenheiten aus dem Leben von Jesse James, Buenaventura Durruti, Martin Cahill, Burkhard Driest und anderen. Und Sie fächern ihr Sujet nach allen erdenklichen Seiten auf: Aus volkskundlich-kulturwissenschaftlicher, historisch-kritischer, literaturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive spüren sie dem glamourösesten aller Kriminaldelikte nach.

Die unterschiedlichen Zugänge entspringen nicht systematischer Kategorisierungen, sondern resultieren aus Zufällen und individuellen Neigungen: So gibt es Studien zur politischen Ökonomie des Bankraubs und zu regionalen Traditionen, Texte zur Repräsentation des Bankraubs in der populären Kultur – etwa die „kleine Typologie des Kino-Bankraubs“ von Klaus-Peter Eichele –, und es gibt Beiträge zum technologischen Wandel innerhalb der Profession. Dabei muss man nicht wirklich Virilio gelesen haben, um die Bedeutung der Erfindung des Autos als Fluchtbeschleuniger für den modernen Bankräuber zu begreifen.

Bislang lag die Beschäftigung mit dem Bankraubs fast ausschließlich in der Hand von Kriminologen und Kriminalsoziologen. Und die wiederum hatten vor allem den Täter als gesellschaftliches Problem im Blick. Diese einseitige Sicht auf das Thema hat Elisabeth Timm zur Generalabrechnung provoziert. Gegenstand ihrer Polemik ist die Kriminalsoziologie und deren permanente Pathologisierung der Täter mit der Tendenz, Tätermotive zu isolieren, ohne die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Betracht zu ziehen. Timm hält nicht die Täter, sondern die Forscher für verrückt – vor allem aufgrund derer Blindheit für die ökonomischen Verhältnisse, die eigentlich die Frage evozieren, warum nicht viel mehr Menschen stehlen oder Banken überfallen.

Ganz anders nähert sich Marcel Boldorf dem Thema. Der Historiker untersucht die späten Anfänge und die langsame Karriere des Delikts in Deutschland. Noch Ende des 19. Jahrhunderts war der Bankraub hierzulande, ganz im Gegensatz zum Westen der USA, eine Seltenheit. Erst im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts nahm die Zahl der Überfälle deutlich zu. Der Grund? Das Transaktionsvolumen der privaten Haushalte stieg so stark an, dass, wie Boldorf meint, „verbesserte Methoden des Geldtransfers zwischen den Geldinstituten nötig wurden“. Verrechnungskonten wurden eingeführt, damit verringerte sich die Zahl der großen Geldtransporte. In den Banken lagerte fortan mehr Geld als je zuvor – ein vorzügliches Ziel für bankräuberische Interessen. In diesen Zeitraum fielen dann auch die Aktivitäten der Gebrüder Sass, deren Vorgehen sich stark an dem amerikanischer Safeknacker orientierte.

Den Erfolg des Brüderpaars erklärt Johannes Maan mit ihrem „Vorsprung durch Technik“. Tatsächlich suchte „ihr Meisterstück“, der Einbruch bei der Disconto-Gesellschaft am Berliner Wittenbergplatz, seinerzeit seinesgleichen: In langer und anstrengender Vorarbeit gruben sie einen Tunnel zum Luftschacht des Tresorraums und hatten damit Zugang zur Silberkammer und zu den 181 Kundensafes, die sie dann gründlich leer räumten. Über die Höhe der Beute konnte nur spekuliert werden.

Gebrauchsanweisungen zum Selbermachen gibt es in „Va banque!“ zwar keine, dafür schimmert gelegentlich fürsorgliche Anteilnahme für die Anhänger der Praxis durch. Denn Bankräuber hatten es niemals leicht, und des gesundheitlichen Risikos ihres Handelns sind sich die Autoren des Sammelbandes sehr wohl bewusst. Lediglich das schwankende Niveau der Texte stört am Buch. Erfrischend dagegen ist die moralische Indifferenz der Autoren zum Delikt, die es mehrheitlich mit dem Brecht’schen Diktum halten dürften: „Was ist schon ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“

Klaus Schönberger (Hrsg.): „Va banque! Bankraub – Theorie. Praxis. Geschichte“. Verlag Libertäre Assoziation / Verlag der Buchläden Schwarze Risse / Rote Straße, 332 S., 34 DM