Im Namen der geschundenen Kreatur

Knapp drei Dutzend Tierschutz-Organisationen werben um die Gunst der Spender - nicht immer mit seriösen Mitteln. Hinter die Kulissen des Hamburger Tierschutzes blickte ■ Volker Stahl

Jetzt stehen sie wieder in den Fußgängerzonen oder werben mit Postwurfsendungen um Spenden im Namen der gequälten Kreatur. Die Tierschützer. Die traurige Tatsache, dass die Tiere stumm und wehrlos sind, verleitet jedoch einige Gruppierungen zu fragwürdigen Arbeitsschwerpunkten: Manche konzentrieren sich mehr auf das Abzocken von Spendengeld (siehe Interview) als auf die aktive Bekämpfung des Tierleids. Und sind bei der Wahl ihrer Methoden nicht zimperlich: Vereine wie Arche 2000, das Deutsche Tierhilfswerk oder die Deutsche Gesellschaft Tiere & Natur arbeiten mit professionellen Drücker-Kolonnen, die potenzielle Spender mit Hochglanz-Broschüren und Schock-Fotos ködern. Mit der Mitleidsmasche soll zum schnellen Vertragsabschluss verleitet werden, der den Unterzeichnern oft kostspielige Dauermitgliedschaften beschert.

Auch die 1996 gegründete Tierhilfsorganisation Terra Mater setzt in Werbebroschüren auf Boulevardthemen - „Hilferuf einer Igelmutter“, „Brutaler Welpenmord: Jäger verurteilt“ -, um neue Mitglieder zu gewinnen. Mit Erfolg: Knapp 41.000 mit Hilfe von Drükkern geworbene Bundesbürger unterstützen die Arbeit der nicht als gemeinnützig anerkannten Organisation. „Wir werden die Gemeinnützigkeit aber im nächsten Jahr beantragen“, verspricht Geschäftsführer Alfred Spohr, der „neu in der Branche“ ist. Noch ginge das nicht, weil mehr als die Hälfte der reichlich fließenden Einnahmen (zwischen fünf und zehn Millionen Mark pro Jahr) von Werbern, Verwaltung und Personal verschlungen würden.

Weil der Verein, der nach eigenen Angaben zehn Katzenstationen, ein Tierheim und zwei Gnadenhöfe unterhält, Außenstehenden keinen Einblick in seine Bücher gewähren will, liegt er im Dauerclinch mit dem Tierschutzbund und wird von Verbraucherschützern scharf beobachtet.

„Finger weg von Vereinen, die mit professionellen Werbern arbeiten“, warnt Frank Wieding. Der Hamburger Journalist und Kenner der Tierschutz- und Tierrechtsszene rät willigen Geldgebern mit einem Herz für Tiere, kleine Vereine oder Gruppen ohne aufwändigen Verwaltungsapparat zu unterstützen: „So finanziert man keine teuren Funktionärsgehälter, und das Geld kann in voller Höhe für den Tierschutz oder für Tierrechte verwendet werden.“

Gut gesagt, allerdings gibt es allein in und um Hamburg knapp drei Dutzend Tierschutzorganisationen. Als Gradmesser empfiehlt Wieding daher, sich nicht an der „Professionalität des Spendensammelns“ zu orientieren, sondern am Engagement fürs Tier. Doch auch an diesem Punkt scheiden sich die Geister:

Aufklärung und Diskussion - das ist ein wesentliches Anliegen der Tierrechts-Aktion-Nord (TAN), die an Informationsständen in der Hamburger City mit Broschüren und Flugblättern auf die „Unterdrückung der Tiere“ aufmerksam machen will. Die Spendendose bleibt im Hintergrund. „Natürlich sind wir auch auf Spenden angewiesen“, stellt TAN-Sprecher Frank Rehberg klar. „Wir wollen aber keine Ablassbriefe verkaufen, sondern die Menschen ermutigen, sich zu organisieren und gemeinsam gegen das Leiden der Tiere zu kämpfen.“

Seit vorigem Jahr konzentriert sich TAN auf Aktionen gegen den Pelzhandel. Sie attackiert mit Boykottaufrufen, „Go Ins“ und Dauerdemonstrationen den Bekleidungskonzern C&A, der nach jahrelangem Stopp seit 1998 wieder Pelze in seine Kollektion aufgenommen hat.

Radikaler - in Theorie und Praxis - sind die Aktionen von Organisationen wie die tierbefreier. Mit Jagdsabotagen, Besetzungen von Zirkusmanegen, Demonstrationen vor Tierversuchslaboratorien oder Zoogeschäften kämpfen sie für das Recht der Tiere auf Leben und Unversehrtheit. „Nur Mitleid ist zu wenig“, kommentiert der 800 Mitglieder zählende Verein die Arbeit derjenigen, die das Leid der Tiere lediglich vermindern wollen. Mit Kampagnen und Aktionen gegen Fleisch-, Pelz- oder Lederprodukte ziehen die tierbefreier gegen das „Grauen des Tierelends“ zu Felde - „ohne Direktmailing und Drükker“, wie Sprecher Kristian Habermann betont.

Die Organisation hat sich als Sprachrohr des autonomem Tierschutzes etabliert. Wenn irgendwo in der Republik Hochsitze abgesägt, wenn Tiere aus Laboratorien und Farmen befreit werden, machen die tierbefreier mit Sitz im Stadtteil St. Georg die Pressearbeit für diese Aktionen. „Wir sorgen dafür, dass militante Aktionen nicht totgeschwiegen werden“, sagt Habermann, der sich auch durch Hausdurchsuchungen nicht einschüchtern lässt.

Mit Belästigungen der anderen Art müssen sich Andreas und Elisabeth Libera herumschlagen. „Wir werden beleidigt, bepöbelt, bedroht“, beschreibt Andreas Libera Hamburger Reaktionen, wenn die beiden Mitglieder der Aktionsgemeinschaft Friede für die Stadttauben in der Innenstadt Tauben füttern oder nach verletzten Tieren Ausschau halten. Dabei litten die Vögel oft auch im Sommer Not, weiß der Experte: „In den Städten finden sie kaum ihre Hauptnahrungsmittel wie Weizenkörner, Linsen oder Erbsen.“ Wegen ihrer Standorttreue - die Stadttauben haben einen Aktionsradius von gerade mal einem halben Kilometer - sind die Tiere meist auf Essensabfälle angewiesen.

Die nicht artgerechte Ernährung und einzelne Giftattacken lassen die Population nach Liberas Schätzung in der Millionenstadt Hamburg kaum über 11.000 Individuen hinauswachsen. Und die sollten doch geduldet werden in einer Stadt, in der je 1,7 Millionen Menschen und Ratten leben. Mit einer bloßen Duldung will sich das Great Ape Project (GAP) nicht zufrieden geben. „Menschenrechte für Menschenaffen!“ fordert seit 1993 die internationale Initiative hochkarätiger Wissenschaftler und Philosophen. „Das Projekt wurde ins Leben gerufen, um den Umgang des Menschen mit den Großen Menschenaffen grundsätzlich zu überdenken“, sagt die Hamburgerin Karin Karcher, die GAP in Deutschland bekannt machen will. Denn nach dem Gesetz seien Menschenaffen noch immer „Sachen“, beklagt sie.

Die „Deklaration über die Großen Menschenaffen“ will dies ändern und kämpft für die Erweiterung der Gemeinschaft der Gleichen, die Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Menschen umfassen soll. Allen Individuen dieser Gattungen, deren Genmaterial nahezu identisch ist, spricht die Deklaration das Recht auf Leben und individuelle Freiheit zu. „Mehr als den klassischen Tierschutz“ haben sich auch Gruppierungen wie die Vegetarische Initiative (VI) auf die Fahnen geschrieben. Sie wollen das ethische Bewusstsein der Verbraucher fördern und versuchen durch Produktkampagnen, vegetarische Lebensmittel in den Regalen der Supermärkte zu etablieren. „Wir leisten Hilfestellung für den generellen Ausstieg aus dem Fleischkonsum“, so VI-Sprecher Armin Mück, der sich darüber ärgert, dass Broccoli aus dem Supermarkt immer noch häufig mit Gelatine überzogen ist. „Wir sind aber keine Körnerfresser aus Opas Zeiten, sondern Genussmenschen“, betont Mück. Das Ziel der VI lautet: „Komsumkritik leben!“

Ganz so eng will Vier Pfoten das offenbar nicht sehen. Zwar wirbt der Vier Pfoten-Report in der Rubrik „Essen ohne Tierleid“ in jeder Ausgabe für vegetarische Kost, der Appell zum Fleischverzicht richtet sich aber offensichtlich eher an die 95.000 Förderer des gemeinnützigen Vereins (Jahresumsatz 1999: 5,2 Millionen Mark) als an die Macher selbst: Die meisten der zwölf Hamburger Mitarbeiter der österreichischen Organisation verzichten nicht auf totes Tier. „Vegetarismus war mir zu langweilig“, bekennt Pressesprecherin Beate Schüler freimütig. Und auch zu den radikalen unter den Tierfreunden will Vier Pfoten nicht gehören. „Wir distanzieren uns von denen“, sagt Geschäftsführer Manfred Mohrbach.

„Nie militant“ - so will sich auch der Hamburger Tierschutzverein für das Wohl der Tiere einsetzen. „Wir helfen direkt vor Ort“, beton der Vorsitzende Wolfgang Poggendorf, denn „Tierschutz dient auch den Menschen“. Fuhrknechte, die ihre Klepper aufs Schäbigste misshandelten, gaben 1851 den Anlass zur Gründung des „Vereins gegen die Tierquälerei“. Aus dem einst belächelten Außenseiter entwikkelte sich eine Organisation mit inzwischen 8000 Mitgliedern und einem 10,5 Millionen starken Jahresetat; dazu kommen 550.000 Mark von der Stadt. Der Verein leistet tierärztliche Hilfe, unterhält das Tierasyl an der Süderstraße und setzt sich für bessere Haltungsbedingungen für Bello, Felix und Hansi ein.

Im Gegensatz zu den Tierrechtlern hat der Verein klassischer Prägung ein eher unsentimentales Verhältnis zu „Nutztieren“, die Pogendorf als „Ernährungsgrundlage des Menschen“ betrachtet.