Der Loddar mit dem Zeigefinger

■ Hacki Jüttner gehört seit 1972 zur deutschen Tipp-Kick-Elite. Hier muss das Eckige ins Eckige

Er war Deutscher Meister im Einzel und mit der Mannschaft, holte den „Pott“ nach Hamburg und ging bei ungezählten Turnieren als Champ von der Platte. Hacki Jüttner hat in seiner Sportart alles gewonnen, was es zu gewinnen gab – und ist trotzdem so gut wie unbekannt. Der gelernte Automechaniker gehört trotz seiner 44 Jahre zu den besten Tipp-Kick-Spielern im Lande – quasi der Lothar Matthäus des Tischfußballs. „Tipp-Kick ist eine Sucht“, sagt Jüttner über das 1922 vom Stuttgarter Möbelkaufmann Karl Meyer erdachte Spiel. Seit 1972 steht der Wilhelmsburger, der in seinem Stadtteil nebenbei auch noch die normal großen Fußballer des Bezirksligisten ESV Einigkeit trainiert, an der grünen Platte und schießt den gegnerischen Torhütern die Bälle um die Ohren. Ja, das Spielgerät heißt auch hier Ball, obwohl es gar nicht rund ist.

„Anfang der 70er-Jahre spielte ich mit fünf, sechs Leuten immer nach der Schule, einfach so aus Spaß“, erinnert sich Hacki, der eigentlich Hubertus heißt. Den Spitznamen verdankt er seiner ruppigen Spielweise im richtigen Fußball, gegen den er einst als rechter Verteidiger für Viktoria Wilhelmsburg-Veddel in der Verbandsliga trat. Dabei war sein Vorbild in den 70ern gar nicht Hacki Wimmer, sondern dessen Gladbacher Kollege Berti Vogts: „Weil der wie ich war: klein und bissig.“ Vogts misst 1,68 Meter, Jüttner bringt es auf sieben Zentimeter weniger.

Was Hacki an der grünen Filzplatte macht, ist Leistungssport. Sagt er. Der Ball ist eckig, das Spiel dauert zehn Minuten, und die Hochburgen dieser Sportart sind nicht München oder Dortmund, sondern Düdinghausen, Waltrop, Leck und Hamburg. Gespielt wird mit je zwei Figuren, einem Plastik-Torhüter und einem Feldspieler aus Zink. Dessen Schussbein schnellt durch Druck auf den Kopf aus der Ruheposition und katapultiert den Ball im Idealfall ins gegnerische Tor. Geübte Zocker arbeiten beim Schießen mit zahlreichen Tricks: Als Schlenzer, Bogenlampe, Heber oder Aufsetzer segelt das zwölfe-ckige Flugobjekt Richtung Tor.

Aus dem anfänglichen Spaß wurde bald Ernst. Nachdem Jüttner es zu einigem Geschick im Umgang mit der Plastikkugel gebracht hatte, wollte er „mal gegen einen aus dem Verein spielen“. Er antwortete 1980 auf eine Anzeige in einem Fachmagazin, spielte bei Kickers Hamburg vor und landete schließlich beim mittlerweile aufgelösten Tipp-Kick-Verein TFC St. Pauli Hamburg, der damals in der Bundesliga kickte. Er lernte, die anfangs klobigen Treter der Metallmännchen aus Metall zu feilen und wurde von seinen neuen Mitspielern in die taktischen Feinheiten des Filzrasenschachs eingeweiht.

1987 stand Jüttner auf dem Gipfelpunkt seiner Karriere. In Siegen gewann er die 22. Deutsche Einzelmeisterschaft. „Der Kleine ganz oben“, titelte die Verbandszeitschrift „tipp-kick-rundschau“ damals. 1993 und 1997 holte Hacki mit dem von ihm 1987 gegründeten Verein Fortuna Hamburg die Meis-terschale. In der vorletzten Bundesliga-Saison „ermüllerte“ er sich in der höchsten Spielklasse die Torjäger-Kanone. Und in der Einzelwertung belegte er einen beachtlichen siebten Platz.

Sein Ehrgeiz ist bis heute ungebrochen. Das war auch der Grund, vor zwei Jahren den Dienst bei seinem Verein Fortuna Hamburg zu quittieren: „Ich war mit der laschen Trainingseinstellung meiner Mitspieler nicht mehr einverstanden.“ Jüttner wechselte im November 1998 freiwillig in die 2. Bundesliga Nord und schaffte mit dem TKV Grönwohld im Sommer den Aufstieg in die Eliteklasse.

Dass der Tipp-Kick-Methusalem noch zu den „Top Ten“ seiner Zunft gehört, ist eigentlich ein kleines medizinisches Wunder. Vor 16 Jahren hatte Jüttner sich bei einem Sturz einen komplizierten Trümmerbruch im rechten Arm zugezogen. „Elle und Speiche waren durch und ein Nerv abgeklemmt, die Hand dadurch bewegungslos.“ Zwei Jahre war er krankgeschrieben, wurde zum Invaliden. Er musste den Schraubenschlüssel aus der Hand legen und wechselte von der Werkstatt ins Büro eines großen Autohändlers. Dennoch kämpfte er sich, in eine Handmanschette gezwängt, wieder an die Leistungsspitze seines geliebten Sports. Selbst der Unfall hatte mit Jüttners Fußball-Leidenschaft zu tun: Er war beim Anstreichen des Vereinsheimes seines Klubs von der Leiter gestürzt. Volker Stahl