Symbol der Wende

In Karlsruhe wird ein Müllberg zum Energieberg: Zwei Windräder sind bereits errichtet. Die Stadt hofft, mit dieser Innovation ihr Image als Zentrum der Technologieregion zu festigen

Installiert man noch Kraftwerke für Solarstrom und Deponiegas, könnte der Müllberg Strom für 70.000 Einwohner liefern

Der Berg konnte nur schöner werden. Im Süden liegt der Karlsruher Rheinhafen, im Osten befindet sich ein Industriegebiet, im Norden eine Raffinerie. Aus Hausmüll war er in den vergangenen Jahrzehnten aufgeschichtet worden, nun ist er rund 60 Meter hoch.

Jetzt soll der Karlsruher Müllberg zum Energieberg werden und damit zum Symbol der Energiewende. Die ersten beiden Windkraftanlagen laufen bereits, eine dritte ist in Planung. „Wir haben das europaweit größte Windrad auf einer Hausmülldeponie“, sagt Initiator Thomas Müllerschön.

Zwar wurde auch bei München im April 1999 ein Windrad auf einem Müllberg errichtet. Doch das dortige Projekt war einfacher, weil der Berg in München-Fröttmaning überwiegend aus Bauschutt besteht. Er gibt daher nicht so stark nach wie der in Karlsruhe.

Landwirt Müllerschön, der mit einer kleinen Windkraftanlage auf seinem Hof schon Anfang 1997 erste Erfahrungen mit Windenergie sammelte, nahm sich den Müllberg am Rheinhafen im Herbst jenen Jahres vor. Das war eine große Herausforderung: „Der Berg wird in den nächsten Jahren um drei Meter sacken“, weiß Müllerschön. Um 45 Zentimeter hat der Buckel in anderthalb Jahren bereits nachgegeben. Doch das Bodengutachten eines Ingenieurbüros, das von der Universität Karlsruhe nochmals geprüft wurde, habe die Standsicherheit belegt, sagt der Windmüller mit den innovativen Ideen. Man musste nur ein spezielles Fundament entwickeln – es wurde ein „schwimmendes“, das mit der Rotte nachsacken soll ohne die Windräder als gefährlich schiefe Türme enden zu lassen.

In München ersann man für die 1,5-Megawatt-Anlage hingegen ein anderes System: Mit vier hydraulischen Pressen kann dort bei Bedarf die Fundamentplatte neu justiert werden. Als kritischer Wert gelten sieben Millimeter Neigung pro Meter Höhe.

Der Mehraufwand für das ausgeklügelte Deponiefundament rechnet sich – zumindest in Karlsruhe. Denn im Rheintal findet man in 50 bis 70 Metern Höhe den Übergang von der Bodenwindzone zur Höhenwindzone. Auf dem Müllberg rentiert sich daher ein Windrad. Am Fuße des Berges hingegen wäre das nicht der Fall.

Ende 1998 ging das erste Windrad in Karlsruhe ans Netz. Immerhin 1,2 Millionen Kilowattstunden hat die 750-Kilowatt-Anlage im darauffolgenden Jahr erbracht und damit die Prognose erfüllt, obwohl 1999 eigentlich ein eher schlechtes Windjahr gewesen ist.

Die zweite Anlage, ebenfalls 750 Kilowatt stark, ging in diesem Sommer ans Netz. Eine dritte mit 1,5 Megawatt Leistung wird nächstes Jahr folgen. Schon haben einige Städte und Landkreise in Karlsruhe um detaillierte Informationen gebeten – Freiburg zum Beispiel, Frankfurt und Freudenstadt. Nutzbare Müllberge mit der erforderlichen Größe gibt es schließlich überall.

Das innovative Projekt lockte auch zahlreiche Investoren. 135 Bürger finanzierten das erste Windrad am Karlsruher Hafen, 160 kauften Anteile am zweiten. „Das sind echte Bürgerwindräder“, freut sich Thomas Müllerschön.

Auch die dritte Turbine ist bereits genehmigt, im Herbst will der Initiator damit beginnen, Kapital einzuwerben. Vier Millionen Mark wird das Projekt kosten. Auch dieses Geld wird zweifellos zusammenkommen, denn die Windverhältnisse sind gut. 5,5 Meter pro Sekunde erreicht der Wind im Jahresmittel in 50 Meter Höhe über der Bergkuppe. Dafür kann man dann auch die zusätzlichen Kosten in Kauf nehmen. Sie entstehen nicht nur durch das Fundament, das immerhin doppelt so groß sein muss, wie eines in festem Boden.

Auch die Technik der Anlage selbst muss an die Auswirkungen des Mülls angepasst werden, weil daraus brennbares Gas entweicht. Also umkapselte man alle Komponenten dahingehend, dass sie sich nicht durch elektrische Spannungen das Deponiegas entzünden können.

Mit den drei Windturbinen, die zusammen Strom für fast 2.000 Haushalte liefern werden, sieht Müllerschön die Möglichkeiten noch lange nicht erschöpft. Der Buckel soll außerdem Sonnenkraft liefern; 40.000 Quadratmeter Solarzellen könne man auf der Südseite aufständern, hat der Landwirt errechnet. Zudem könne man das Deponiegas noch stärker nutzen. Am Fuße des Berges böte sich ferner eine Anlage zur Altholzvergasung an, sowie ein Erdwärmekraftwerk, das die Energie aus 2.500 Meter Tiefe fördert. Denn der Oberrheingraben ist für sein geothermisches Potenzial bekannt. Alles zusammengenommen, rechnet Müllerschön, könnte der Müllberg künftig Strom für 70.000 Einwohner liefern.

Ein Informationszentrum soll schließlich den Besuchern alle Hintergründe zu den erneuerbaren Energien vermitteln – und das Karlsruher Bürgermeisteramt hofft bereits, mit dem innovativ genutzten Müllberg das Image der Stadt als Zentrum der Technologieregion zu festigen.

BERNWARD JANZING