„Ein Polizist muss wissen, was er darf“

■ Interview mit Dian Schefold, Professor für Öffentliches Recht an der Bremer Universität, zur geplanten Novellierung des Bremer Polizeigesetzes und zur existierenden Rechtslage

taz: Ist das Bremer Polizeigesetz von 1983 überhaupt erneuerungsbedürftig?

Prof. Dian Schefold: Ja. Das vom Bundesverfassungsgericht definierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung muss dort verankert werden. Und es gibt auch bestimmte Fälle, in denen sich gezeigt hat, dass das Polizeigesetz von 1983 nach den seitherigen Erfahrungen heute nicht mehr ausreicht.

Zum Beispiel?

Erstes Beispiel: Die Polizei nimmt jemanden kurzzeitig fest. Wenn er festgehalten werden soll, muss er dem Amtsrichter vorgeführt werden. Oft aber wird er nach wenigen Stunden wieder entlassen, und dann muss geklärt werden können, ob die Festnahme durch die Polizei rechtmäßig war oder nicht. Das Bremer Gesetz lässt einen dabei im Stich, weil es nicht definiert, welcher Richter in diesem Fall zuständig ist.

Zweites Beispiel: Bayern hat vor etwa zehn Jahren den ziemlich drakonischen Unterbindungsgewahrsam eingeführt. Wenn jemand festgenommen und dem Richter vorgestellt wird, kann der Richter – auch wenn der Betroffene noch gar nichts gesündigt hat – bis zu zwei Wochen Haft anordnen, damit er in dieser Zeit keine Straftat begehen kann. Das hat damals ein Wutgeheul rechtsstaatlich gesinnter Juristen ausgelöst, worauf die Bayern mit dem Hinweis reagiert haben, dass auch in Bremen eine solche vorbeugende Haft möglich ist und das Bremer Gesetz noch nicht einmal eine Höchstgrenze dafür vorsieht.

Drittes Beispiel: Wird eine Platzverweisung durch die Polizei nicht befolgt, so kann nach dem Gesetzeswortlaut im Fall einer erheblichen Gefahr die Polizei alle Anwesenden in Gewahrsam nehmen. Es bedurfte der einschränkenden Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht unter Heranziehung der Europäischen Menschenrechtskonvention, um in solchen Fällen Unbeteiligte, harmlose Personen vor einer Festnahme zu schützen.

In diesen und ähnlichen Fällen muss das Gesetz präziser ausgeformt werden. Und soweit ich sehe, enthält der Entwurf des Innensenators diesbezüglich nichts.

Die CDU möchte das Gesetz aus einem ganz anderen Grund erneuern. Sie will der Polizei für ihre schwierige Aufgabe möglichst viel Freiheit lassen.

Ich selber bin als Hochschullehrer Angehöriger des Öffentlichen Dienstes und habe da bestimmte Dienstleistungsfunktionen gegenüber der Gesellschaft zu erbringen. Ich habe mich an die Vorschriften, wie ich sinnvoll meinen Dienst erfülle, zu halten. Und selbstverständlich hat das die Polizei auch zu tun.

Nun halten sich Kriminelle gerade nicht an die Vorschriften ...

Die Polizei ist doch nicht dazu da, Kriminalität mit Kriminalität zu beantworten. Die Polizei ist dazu da, den Rechtsstaat zu schützen.

Und je genauer definiert ist, was die Polizei dabei darf oder nicht darf, desto besser?

Ich würde das noch aus einem weiteren Grund sagen: Polizisten sind keine Wissenschaftler und keine Richter. Polizisten müssen in einer konkreten Situation handeln. Und da müssen sie wissen, was sie zu tun haben. Wenn man zum Beispiel, wie es der Entwurf vorsieht, einem Polizisten das Recht gibt, die Identität einer Person ohne konkreten Anlass festzustellen, dann bürdet man damit dem einzelnen Streifenpolizisten die Pflicht der Entscheidung auf, ob das sinnvoll ist oder nicht. Das überfordert den einzelnen Beamten.

Das Polizeigesetz soll ein Schutz für den einzelnen Beamten sein?

Allerdings. Man sollte das Polizeigesetz möglichst präzise fassen, damit der Polizist weiß, was er darf, und was er muss.

Muss man dann das Gesetz nicht alle fünf Jahre umschreiben, um dem neuesten Stand der kriminellen Methoden gerecht zu werden?

Ja sicher. Wir leben nicht in einer statischen Gesellschaft. Jede neue Situation muss zu den erforderlichen Regelungen führen.

1983 ist das Bremer Polizeigesetz gegen erbitterten Widerstand der CDU von der SPD-Mehrheit verabschiedet worden. Jetzt haben wir eine Große Koalition. Sehen Sie Kompromisslinien zwischen SPD und CDU?

Bei einer Großen Koalition gibt es die Möglichkeit einer breiten parlamentarischen Diskussion. Schon die bisher geführte Diskussion hat gezeigt, dass auch innerhalb der Mehrheitsfraktionen größere Divergenzen bestehen, und jetzt muss sachlich unter Einbeziehung des gesamten Parlaments diskutiert werden.

Keine schnellen Verabredungen im Hinterzimmer der Koalition?

Auf keinen Fall. Vielleicht sollte die Bürgerschaft sogar einen eigenen Ausschuss zu diesem Zweck einsetzen, der umfangreichere Expertenanhörungen und rechtsvergleichende Vorüberlegungen anstellt, damit ein ausgereiftes Gesetz zustande kommen kann.

Die Überarbeitung ist schon lange überfällig. Wird sie damit nicht unzulässig hinausgezögert?

Überhaupt nicht. Es besteht ein Bedürfnis nach Modernisierung des Polizeigesetztes, aber die Polizei kann auf Grund des geltenden Gesetzes ganz ordentlich arbeiten. Zu Hast ist kein Anlass. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Volkszählungsurteil schon Ende der 80er Jahre gewisse Anforderungen an das Polizeigesetz gestellt. Aber wenn es dafür eine Frist gäbe, wäre sie längst abgelaufen. Da kommt es jetzt auf ein paar Monate mehr oder weniger nicht mehr an. Fragen: Dirk Asendorpf