Generalstreikin Argentinien

Dilemma zwischen der teuren Währung und den Auflagen des Währungsfonds. Deindustrialisierung droht

BUENOS AIRES taz ■ Nach zwei Wochen des Rechnens und Verhandelns konnte die Delegation des Internationalen Währungsfonds (IWF) wieder zufrieden Buenos Aires verlassen. Sie hatte der Regierung von Präsident Fernando de la Rúa klarmachen können, was sie am meisten sorgt: dass Argentinien wegen der schweren Wirtschaftskrise seine Auslandsschuld nicht mehr bezahlen könne. Deshalb schnürte die Regierung ein Sparpaket in Höhe von über 900 Millionen Dollar. Es sieht Kürzungen vor in allen öffentlichen Bereichen: Ausbildung, Gesundheit, Gehälter der Staatsbediensteten, Rente.

Das Entgegenkommen der Regierung gegenüber dem IWF blieb nicht ohne Echo. Teile der Peronisten sprachen von einer „finanziellen Diktatur“ durch den IWF und riefen für heute zum Generalstreik auf. Dabei waren es gerade die Peronisten, die unter Präsident Carlos Menem die neoliberale Umgestaltung des Landes begonnen haben. Aber es sind vor allem viele De-la-Rúa-Wähler aus der Mittelschicht, die heute auf der Straße sein werden. Sie fühlen sich von ihrem Präsidenten verraten. Ein sozialeres Land hatte er im Wahlkampf versprochen, und jetzt macht er genau dort weiter, wo Menem aufgehört hat.

Argentinien durchlebt die schlimmste Rezession der vergangenen 20 Jahre. Das Haushaltsdefizit ist horrend, die Weltmarktpreise für argentinische Exportprodukte wie Weizen und Soja liegen im Keller. Der starke Dollar beschert dem Land zudem heftige Konkurrenz aus Europa, von wo aus billige Produkte auf den Weltmarkt strömen.

Trotz allem gibt es in Argentinien weiterhin ein Tabuthema: die Abwertung des eins zu eins an den teuren Dollar gekoppelten Peso. Mit der Abwertung würden argentinische Waren auf dem Weltmarkt billiger. Allerdings würde die Abwertung der Währung alte Erinnerungen wachrütteln, an die Ära von Präsident Raúl Alfonsin: Ende der 80er-Jahre hatte Argentinien galaktische Inflationsraten aufzuweisen. Der Preis für ein Brot war abends höher als morgens. Eine Abwertung würde auch die Auslandsschulden steigen lassen.

Andererseits: Behält de la Rúa die Parität zum Dollar bei, wird Argentinien langsam deindustrialisiert. Nicht wenige Firmen haben sich bereits aufgemacht in das wesentlich billigere Brasilien. Andere schließen. Langfristig droht das Land zu dem zu werden, womit es zu Beginn des 20. Jahrhunderts reich wurde: zu einem Rohstoffproduzenten, mit dem Hauptaugenmerk auf der Landwirtschaft. INGO MALCHER