Nach dem Desaster

Zwischen Bunkermentalität und Öffnung: Das Hamburger Institut für Sozialforschung  ■ Von Ole Frahm

Seit der sogenannten Wehrmachtsausstellung ist das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) über die Grenzen dieser Stadt und der Fachwissenschaft hinaus bekannt. Viel Kritik bekam das Institut – von rechts wegen der angeblich verfälschten Darstellung des Vernichtungskriegs der Wehrmacht, von links wegen der Nähe zu Totalitarismustheorien, in denen die nationalsozialistischen Verbrechen mit dem stalinistischen Terror gleichgesetzt werden.

Kaum jemand aber weiß, was jenseits dieser Ausstellung in dem von Jan Phillip Reemtsma finanzierten Institut an wissenschaftlicher Arbeit gefördert wird. Das ist ärgerlich, weil sich dessen Forschungsergebnisse durchaus an eine außerakademische Öffentlichkeit wenden. Darum veranstaltet das HIS seit letztem Jahr semesterweise, jeweils am ersten Montag des Monats Vortragsabende.

An diesen „Institutsmontagen“ stellen MitarbeiterInnen des HIS Ergebnisse ihrer aktuellen Arbeit zur Diskussion. Damit wird einer kleinen Öffentlichkeit ermöglicht, durch Kritik in diese Arbeit einzugreifen. Eine solche Praxis ist an Universitäten unüblich. Zwar halten ProfessorInnen dort Vorlesungen ab, doch selten, um sich dem Urteil der Studierenden zu stellen.

Es spricht für eine privat geförderte Institution, zur Auseinandersetzung über die eigene Arbeit herauszufordern. Gerade nach dem Desaster um die Ausstellung „Vernichtungskrieg“, die im Moment vollständig geprüft und überarbeitet wird, nach der Abwehr jeder, selbst gut gemeinter Kritik und einer gewissen Bunkermentalität scheint dies auch bitter nötig. Fraglich ist allerdings, ob ein Montag im Monat ausreicht, um die konzeptionellen Probleme zu diskutieren, die der Institutsarbeit anhaften.

Wenn der Name des HIS an das Frankfurter Institut für Sozialforschung erinnert, so ist von dem theoretischen Ehrgeiz der frühen Frankfurter Schule um Theodor W. Adorno in Hamburg wenig zu merken. In den seit mehr als sechs Jahren eingerichteten Arbeitsbereichen des Instituts – „Nation, Ethnizität und Fremdenfeindlichkeit“, „Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik“ und „Theorie und Geschichte der Gewalt“ – werden eher konkrete als theoretische Projekte unterstützt. Das ist heikel, wenn beispielsweise die „Theorie“ der „Gewalt“ wenig gepflegt wird.

„Gewalt“, steht im Bericht des HIS 1996-99 zu lesen, „begleitet die Geschichte der Menschheit allgegenwärtig. Sie ist aus Köpfen und Seelen nicht wegzudenken, sie schafft sich ihre eigenen Institutionen“. Diese Annahmen lassen sich vortheoretisch nennen. Ihr Gewaltbegriff setzt staatlichen Terror und Krieg gleich: Hans Magnus „Jeder U-Bahn-Wagen kann zum Bosnien en miniature werden“ Enzensberger läßt grüßen. Wenn das HIS 1996 noch eine gesellschaftstheoretische Perspektive für sich in Anspruch nahm und Gewalt wenigstens als spezifisch modernes Problem kennzeichnete, scheint diese Position nun essentialisierenden Gemeinplätzen mit Seele gewichen zu sein.

Diese Tendenz schließt keineswegs differenzierte und ausgesprochen interessante Arbeiten aus. Natalija Basic wird heute abend davon berichten, wie „ganz normale Soldaten“ ihre Gewaltausübung im nachhinein vor sich rechtfertigen müssen, um die eigene – auch moralische – Integrität zu wahren. An biographischen Interviews zeigt Basic, daß ethnische Differenzen keine Ursache des Krieges im ehemaligen Jugoslawien waren, sondern dessen Folge sind: Gewalt wird erst in einem konstruierten Wir sinnhaft erlebt und so erträglich gemacht.

Diese Gewalt ist kaum „allgegenwärtig“: Sie muß in historisch spezifischen Konstellationen, auch im Prozess der Subjektivierung aufgesucht und bestimmt werden. Wenn Basic ausschließlich von physischer Gewalt sprechen wird, so verspricht diese heuristische Annahme zumindest, vom Gemeinplatz weg, hin zu einer politischen Diskussion zu kommen. Dieser ist allerdings eine größere Öffentlichkeit zu wünschen.

Natalija Basic: Über den Sinn von Gewalt – Biographische Erfahrungen ehemaliger Kombattanten der post-jugoslawischen Kriege, Mittelweg 36, 20 Uhr