„Vietnam hat uns ernüchtert“

Die US-Bürger sind kritischer geworden gegenüber ihrer Regierung, meint Peter Davis, Regisseur des Vietnam-Films „Hearts and Minds“

Interview PETER HILLEBRAND

taz: Ihr Film „Hearts and Minds“ von 1974 zeigt präzise die Kriegsereignisse und stellt lakonisch Zusammenhänge dar. Das wirkt ernüchternd. Gleichzeitig berührt der Film zutiefst. Was hat Sie zu diesem Stilmittel veranlasst?

Peter Davis: Zu Beginn der Dreharbeiten in den USA konzentrierte ich mich auf drei Fragen: Warum gingen wir nach Vietnam? Was genau machen wir dort? Und wie wirkt sich das umgekehrt auf uns aus? Ich habe den Film so aufgebaut, dass diese Fragen in jeder Sequenz eine Rolle spielen. Sie werden nicht unbedingt beantwortet, aber berührt. Bei den Interviews interessierte mich deshalb auch weniger, ob jemand für oder gegen den Krieg ist, sondern was die Menschen über den Krieg und über Vietnam wissen. Und das war oft erschreckend.

Wusste Columbia Pictures, mit welcher Intention Sie den Film machten?

Nicht so richtig. Mein Partner Bert Schneider, der Produzent von „Hearts and Minds“, hatte einige erfolgreiche Spielfilme gemacht, „Easy Rider“ zum Beispiel. Columbia wollte sich an seinen Erfolg dranhängen und bot ihm für ein neues Filmprojekt eine Million Dollar an. Die Vereinbarung war: Columbia gibt das Geld und stellt weiter keine Fragen. Sie erfuhren also nicht, dass Bert das Geld in meinen Vietnamfilm stecken würde. Eine Million für einen Dokumentarfilm, das war 1972 ein unglaubliches Budget.

Wie hat Columbia Pictures reagiert, als der Film dann fertig war?

Na ja, sie hatten einen Film mit richtigen Schauspielern und einer Geschichte erwartet. Was sie sahen, ließ sie dann obendrein befürchten, das Publikum würde den Film für antiamerikanisch halten und das Image von Columbia würde darunter leiden. Sie weigerten sich, den Film in die Kinos zu bringen. Schließlich waren sie bereit, sich auszahlen zu lassen, und Warner Bros. übernahm den Verleih.

Anlässlich der Oscar-Verleihung 1975 kam es zum Eklat. Was war der Anlass? Bert Schneider las in seiner Dankesrede ein Telegramm der Nationalen Befreiungsfront Vietnams mit Grüßen an das amerikanische Volk vor. Frank Sinatra und der Komiker Bob Hope, die Washintons Kriegspolitik unterstützt hatten, überreichten die Oscars. Sie hielten das Verlesen des Telegramms für eine Unterstützung des Feindes. Noch während der Zeremonie distanzierten sie sich.

Wie wichtig war der Oscar für den Film?

Wir hatten von Anfang an viel Öffentlichkeit. Zuerst zeigten wir ihn im Mai 1974 in Cannes, wo er viel Beachtung fand. Das wurde auch in den USA registriert. Dann gab es Berichte über die Weigerung von Columbia, den Film zu verleihen. Sechs Monate nach Cannes war der Film immer noch nicht in den Kinos. Eine einflussreiche Kolumnistin schrieb damals, sie würde gern allen Amerikanern zu Weihnachten ein Geschenk machen: eine Kopie von „Hearts and Minds“. Das machte Eindruck. Als wir dann den Oscar bekamen, hat das natürlich sehr geholfen.

In einer Szene zeigen Sie einen Vietnamesen, der durch sein von Bomben zerstörtes Dorf geht. Er bemerkt das Filmteam und sagt zu seinem Begleiter: „Erst bombardieren sie uns, und dann filmen sie.“ Hatten Sie nicht die Befürchtung, diese Szene könnte zynisch wirken?

Es ist für mich eine Schlüsselszene. Ich wollte die Medien und die Wirkung, die wir als Filmemacher auf das Geschehen haben, nicht außen vor lassen. Es gab nicht nur die für den Tod vieler Vietnamesen verantwortliche US-Technologie, sondern auch die US-Technologie, die erstere aufmerksam beobachtete. Unser Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen halte ich nicht für zynisch.

An einer Stelle im Film kontrastieren Sie eine ergreifende Beerdigungszene in Vietnam mit der Äußerung des US-Generals Westmoreland, wonach „der Asiate“ den Wert des menschlichen Lebens nicht so achte wie die Menschen im Westen. Gab es darauf Reaktionen?

Nicht direkt. General Westmoreland antwortete damals auf Fragen von Journalisten, die Bemerkung sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Ich frage mich auch nach 25 Jahren noch, in welchem Zusammenhang dieser Satz nicht rassistisch klingen könnte.

Erinnern Sie sich an die Situation?

Ja, sehr genau. Kaum hatte er es gesagt, rief er : „Stop! Noch mal! Ich möchte das richtig ausdrücken.“ Wir hielten die Kamera an, er überlegte einen Moment, und ich dachte, jetzt wird er gleich sagen: „Alle Menschen sind gleich.“ Aber er sagte genau den gleichen Satz. Wegen einer Störung mussten wir sogar noch einen dritten Durchgang machen. Die letzte Aufnahme nahmen wir dann für den Film.

„Hearts and Minds“ hält die Ereignisse aus der damaligen Perspektive fest. Wie würden Sie heute einen Film über den Vietnamkrieg machen?

Was ich zum Vietnamkrieg zu sagen hatte, habe ich mit dem Film gesagt. Heute würde ich einen anderen Aspekt des Krieges zeigen: den Verlust der Unschuld. Unschuld ist ein merkwürdiger Ausdruck, um damit Goliath zu beschreiben, bevor er auf David traf. Aber er passt zur Haltung der USA vor dem Vietnamkrieg. Wir waren so überzeugt, Recht zu haben in allen internationalen Angelegenheiten, dass wir gewählte Regierungen in Guatemala, im unabhängig gewordenen Kongo und im Iran einfach stürzten. Die CIA ging hin und erledigte das. Wir waren die Guten, und wer gegen uns war, war böse. Vietnam zerstörte diese naive Vorstellung, unserem Land sei das Gute angeboren. Seitdem waren wir nie wieder so von uns selbst überzeugt. Wir sind skeptischer geworden gegenüber der Regierung, insbesondere wenn es um Krieg geht. Ein Land muss zu dieser Haltung finden, um erwachsen zu werden. Aus dem Vietnam-Desaster entwickelte sich die Watergate-Affäre. Jetzt erfuhren wir: Unsere politischen Führer können sogar Kriminelle sein. Das waren harte Lektionen, die wir verkraften mussten. Wenn ich heute einen Film machen würde, dann über die Erfahrung, Skepsis zu entwickeln gegenüber der Macht.

Mit welchen Gefühlen blicken die Menschen in den USA heute auf den Vietnamkrieg zurück?

In aller Regel kommen Gefühle von Bedauern oder Reue über die Vergangenheit bei uns nicht auf. Wir schämen uns für nichts, weder für die Sklaverei noch für die Ausrottung der Indianer. Aber für den Vietnamkrieg schämen wir uns, allerdings auf sehr verschiedene Weise. Linke schämen sich dafür, nicht mehr getan zu haben, um den Krieg zu beenden. Die Rechte empfindet Scham darüber, dass die USA nicht durchgehalten, sondern aufgegeben haben. Dass überhaupt Scham gezeigt wird, hat Folgen: Die USA führen nicht mehr so leicht einen Krieg, in dem die eigenen Interessen gar nicht bedroht sind. Wir wären ansonsten ganz sicher in Nicaragua einmarschiert, hätten mit Saddam Hussein Schluss gemacht und anstatt uns auf dem Balkan auf Zehenspitzen zu bewegen, hätten wir uns dort ausgebreitet. Auch Kolumbien hätten wir besetzt. Vietnam hat uns ernüchtert, zumindest für eine Generation.