Innerer Kampf gegen das Zerbrechen

Weder heroisch noch reumütig: Margrit Schiller liest heute aus ihren RAF-Erinnerungen  ■ Von Michael Müller

Heute ist die RAF in der öffentlichen Debatte kein umstrittenes Thema mehr. Spätestens der Medienhype anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums des Deutschen Herbstes – mit Breloers TV-Film Todesspiel als Herzstück – hat dieses Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte endgültig zugeschlagen und vollständig entsorgt. Der Fall scheint klar: Die RAF bestand aus einem Haufen debiler, ideologisch verblendeter Charaktere, die ihren Selbsthass gegen unschuldige Opfer wendeten.

In dieses Bild lässt sich Margrit Schillers Autobiografie nicht problemlos einfügen. Die Erinnerungen der heute 51-Jährigen an ihre Zeit als Mitglied der RAF von 1971 bis 1979 wurden im vorigen Jahr veröffentlicht. Das spießige Elternhaus ist für die Tochter einer Bonner CDU-Stadtverordneten und eines Majors beim Militärischen Abschirmdienst die reine Hölle. Nach dem Abitur zieht sie aus. 1968 gehört sie noch nicht zu den Aktivisten der neuen Linken. Doch der weiter eskalierende Vietnamkrieg weckt auch bei ihr das Gefühl, dass mit dieser Gesellschaft etwas grundsätzlich nicht stimmt. In Heidelberg beginnt Margrit Schiller ein Psychologiestudium.

Über die Arbeit in einem alternativen Programm für Drogenabhängige lernt sie das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) kennen, einen selbstverwalteten, radikalen Versuch von Ärzten und Patienten, mit der repressiven Verwahrpsychiatrie zu brechen. Krankheit wird als Reaktion auf eine kranke Gesellschaft verstanden: Der Weg zur Gesundung liegt im kollektiven Aufbegehren und letztendlich in der Überwindung des Kapitalismus. Hier erlebt Margrit Schiller zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Studentenrevolte ihren eigenen politischen Aufbruch. Sie gewinnt emotionalen Abstand zu ihrem gewalttätigen Vater, der „starke sexuelle Gefühle ÄihrÜ gegenüber empfand“ und überwindet persönliche Hemmungen. Sie schreibt Flugblätter, liest Marx und gewinnt Selbstvertrauen.

Dem Staat und der Uni-Leitung ist die Anti-Psychiatrie ein Dorn im Auge – das SPK soll geschlossen werden. In den folgenden Monaten durchläuft das SPK, und mit ihm Margrit Schiller, eine rasante Radikalisierung. Ende 1970 sind die Massendemonstrationen abgeebbt. Für Aufsehen sorgt hingegen die neu entstandene Rote Armee Fraktion. Der bewaffnete Kampf wird auch im SPK als möglicher Ausweg aus der politischen Sackgasse diskutiert. Im Februar 1971 stellt Schiller ihren Pass untergetauchten RAFlern zur Verfügung, wenig später gewährt sie Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe in ihrer Wohnung Unterschlupf. Die Entschlossenheit der „Terroristen“ beeindrucken Margrit Schiller. Sie schließt sich der RAF an. Im Oktober kommt es in Hamburg zu einer Schießerei mit der Polizei. Margrit Schiller ist vor Schock völlig handlungsunfähig und wird festgenommen.

Mit der Verhaftung endet gewissermaßen der Prolog der Autobiografie. Denn so wie die Aktionen der RAF von Beginn an um die (politischen) Gefangenen kreisten, verbrachte Margrit Schiller den Großteil ihrer RAF-Zeit im Gefängnis. So handelt auch das Buch über weite Strecken vom Leben im Knast: von den Diskussionen mit anderen Inhaftierten, der Brutalität der Staatsgewalt und den Hungerstreiks. Geprägt sind Schillers Erinnerungen von einer extremen Aufrichtigkeit und Direktheit. Ihr geht es weder um die Heroisierung der RAF noch darum, der eigenen politischen Vergangenheit reumütig abzuschwören.

Sehr detailliert schildert sie ihre damalige Wahrnehmung der Ereignisse. Dabei stehen nicht abstrakte politische Analysen im Vordergrund, sondern ihr ganz persönlicher Kampf, nicht zu zerbrechen. Mit nahezu schmerzhafter Eindringlichkeit schildert sie das langsame Abdriften während der totalen Isolation im Toten Trakt und das emotionale Elend nach dem vorzeitigen Abbruch eines Hungerstreiks. Schillers Autobiografie ist ein wertvolles Stück Geschichtsschreibung für alle, die die Kritik am Amoklauf des Staates bei aller notwendigen Kritik am falschen Weg der RAF nicht unter den Tisch kehren wollen.

Und sie erinnert daran, dass einige aus jener Bewegung, aus der auch die RAF hervorging, inzwischen im Kabinett sitzen und die Bundeswehr bewaffnete Kämpfe führen lassen, während andere noch immer in den Gefängnissen schmoren.

heute, 21 Uhr, Schauspielhauskantine

Margrit Schiller, „Es war ein harter Kampf um meine Erinnerng“ – Ein Lebensbericht aus der RAF, Konkret Literatur Verlag. Hamburg 1999. 272 Seiten, 39 Mark

Fotohinweis:Lebt heute als Deutschlehrerin in Uruguay: Ex-RAF-Mitglied Margrit Schiller