zwischen den rillen
: Stimmen im elektronischen Ozean: Mathias Schaffhäuser „Voices In My Lunchbox“

DIE GESAMPELTE FRAU

Vocalsample, House-Hymne und Vocoderwahn – in diesen drei Schlagworten spiegelt sich fast schon das ganze Verhältnis von menschlicher Stimme und elektronischer Musik, also die gesamte Bandbreite dessen, wie gesungener oder gesprochener Text in Kombination mit Rhythmusmaschinen, Sequenzern und Musiksoftware zum Einsatz kommt.

Große Fortschritte wurden da in den letzten zehn Jahren nicht gemacht, und noch immer traut sich kaum jemand an den elektronischen Song im eher klassischen Format heran. Verbalisierte Botschaften, wenn sie nicht gerade von der Aufforderung zur rhythmischen Körperbewegung handeln, werden weithin vernachlässigt.

Das hat allerdings ein freies Feld geschaffen, von denen viele einst geträumt haben: die Stimme als formales Element zu benutzen. Wenn man die Stimme nicht gleich ganz weglässt, ist sie so immerhin davon befreit, irgendetwas aussagen, irgendeinen Inhalt transportieren zu müssen. Das Verschwinden der menschlichen Stimme als solche brachte also die Möglichkeit mit sich, dass Musik zur individuellen Ausdrucksform werden konnte und nicht auf dem Stand verharren musste, bloßes Repräsentationswerkzeug eines Egos zu sein.

Andererseits: Elektronische Musik, egal ob Techno, House oder Drum'n'Bass, hatte in den letzten Jahren nur den Hauch einer Chance, über den begrenzten DJ-Zirkel hinaus bekannt zu werden oder sogar in die Nähe einer Top-100-Platzierung zu gelangen, wenn dazu gesungen wurde – am besten von einer Frau. So etablierte sich ein restauratives Arbeitsmodell, bei dem, überspitzt gesagt, der männliche Produzent die Technik übernimmt, also die Musik produziert, und die Frau ihr Gesicht hinhält. Änderung ist bisher kaum in Sicht und Frauen als Produzentinnen in diesem musikalischen Sektor rar gesät.

Bis die Missy Elliots hier Einzug halten, wird es noch eine Weile dauern. So zeigen auch zwei neue CDs, auf denen (meist Frauen-)Stimmen, Gesang, Text recht prominente Rollen spielen, eher einen Zwischenstand an, als dass sie Zeichen wären für eine grundlegende Neuerung.

Der in Köln lebende Mathias Schaffhäuser, in den letzten Jahren immer gut für hohe Platzierungen in den Listings aufgeschlossener House- und Techno-DJs, beginnt sein erstes Album mit einem Stück, in dem er seine eigene Stimme hören lässt. Was er zu Gehör bringt, geht zwar nicht sehr weit über die Titelzeile „Nice To Meet You“ hinaus, aber immerhin dürfen wir diesen Einstieg ins Metier durchaus als Statement werten, nicht den ganz einfachen Weg zu wählen. Denn obwohl er zu den Stücken mit Gesang auf „Lido Hotel“ zwei Sängerinnen eingeladen hat, ist seine Wahl doch so delikat ausgefallen, dass man nicht anders kann, als ihm ein hohes Problembewusstsein zu attestieren.

Für ein Stück bat er Antye Greie-Fuchs ans Mikro, für das andere Regina Janssen. Erstere ist Mitglied der Berliner Band Laub und als solche stets darum bemüht, ihre gleichberechtigte Rolle als Musikerin auch innerhalb des Produktionsprozesses zu vermitteln. Regina Janssen lässt sich dagegen seit Jahren ohne Murren die Musik von ihrem Ehemann Jürgen basteln, die sie gemeinsam unter dem Namen Donna Regina veröffentlichen.

Fokussiert man Schaffhäusers Album auf diesen Aspekt, hat er sozusagen eine Arena eingerichtet, in der unterschiedliche Modelle von weiblichem Gesang aufeinander treffen. „Desire“, bei dem Janssen singt, ist ein nettes Housestück geworden – vorab schon veröffentlicht und der Clubhit schlechthin in diesem Frühjahr. Janssens Text und Vortrag entsprechen dem, was man sich beim Tracktitel vorstellt. Sie säuselt in ihrer schmeichelnden Tonlage. Und auch Greie-Fuchs bleibt sich treu. Ihrem Standpunkt, keine Kompromisse einzugehen, auch wenn sie mit einem House-Produzenten zusammenarbeitet, verleiht sie im Stück „Zeit rinnt“ Nachdruck: „Worte tiefgefroren an deinen Lippen, rühren meine Seele, an deinem himmelblauen Mund, na und.“

Das kalifornische Label Plug Research widmet sich dem Thema Stimmen schon eine Weile und hat jetzt eine CD unter dem Titel „Voices In My Lunchbox“ veröffentlicht, die eine Maxiserie gleichen Namens zusammenfasst. Das hier präsentierte musikalische Spektrum könnte kaum weiter sein. Es reicht von Matthew Herberts sanftem House-Schieber „Back In The Start“, zu dem – die beiden sind seit Jahren ein Duo – Dani Siciliano singt, bis zu einer Kollaboration von John Tejada, einem der derzeit international angesehensten House-Produzenten, mit seiner Mutter Carmen, einer professionellen Opernsängerin.

Bei Phoenicia versinkt die Frauenstimme dagegen im Sample-Gewitter, und auch bei Dntel ist sie nur ganz weit im Hintergrund zu hören. Als hätten sie von all dem die Nase voll, sagen die Chicks On Speed – mit beiden Füßen fest auf dem Boden, wie immer – „Lisi, This Is House Music“. Sie sind weit und breit die Einzigen, die sich nicht mit weniger zufrieden geben.

MARTIN PESCH

Mathias Schaffhäuser: „Lido Hotel“ (Force Inc./Efa); Diverse: „Voices In My Lunchbox“ (Plug Research/Efa)