Ende einer Dreifachquote

Die Kritik an der ostdeutschen Parteichefin Röstel war oft ungerecht. Aber ihr laberiges Politsprech ist auch unerträglich

aus BerlinTINA STADLMAYER

Das Schreiben ist typisch für Gunda Röstel: Mit freundlichen Worten, etwas trotzig, aber ohne nachvollziehbare Begründung kündigte die Vorstandssprecherin der Bündnisgrünen ihren Verzicht auf eine erneute Kandidatur an. Sie wolle den Weg freimachen für „Personen, die parlamentarische Erfahrung mitbringen“, beteuert die grüne Reala aus Ostdeutschland.

Das klingt zu edel, als dass man es ihr abnimmt. Erst setzt sie sich trotz heftigster Anfeindungen dafür ein, dass in Zukunft auch Mandatsträger Parteiämter inne haben dürfen. Und dann stellt sie ihr eigenes selbstlos zur Verfügung.

In Wahrheit hat die 38-jährige Pädagogin aus Sachsen erkannt, dass sie auf dem übernächsten Parteitag im Mai ohnehin keine Chance hat, noch einmal gewählt zu werden. Leicht ist ihr die Entscheidung sicher nicht gefallen, denn allzu offensichtlich genoss sie es in den vergangenen vier Jahren, in der Bundespolitik ganz oben mitmischen zu dürfen. Tapfer steckte sie zunächst alle Lästereien und Beleidigungen weg, die 1996 nach ihrer Wahl zur Parteisprecherin an der Seite von Jürgen Trittin auf sie niedergingen. Sie sei unerfahren, unbedarft, unqualifiziert. Eine dreifache Quote eben: Frau, Ossi, Reala.

Schon damals war die Kritik an der ehemaligen sächsischen Landesvorsitzenden ungerecht: Gunda Röstel ist durchaus keine politische Nullnummer. Selbstsicher und schnell hat sie sich in alle schwierigen bundespolitischen Themen eingearbeitet.

Doch genau das ist ihr Problem – und das Problem der gesamten grünen Partei: Das vorhandene und inzwischen ziemlich angestaubte Programm wird wiedergekäut. Und alle Versuche, etwas Neues zu entwickeln, bleiben vage und unausgegoren. Gunda Röstel versuchte ihren eigenen wirtschaftspolitischen Dreh zu finden. Sie versuchte Mittelstand und Eigeninitiative zu fördern und dabei Ökonomie und Ökologie zu verbinden. Aber sie blieb dabei nebulös oder schlicht unverständlich.

Schlimm waren auch ihre Auftritte nach den verlorenen Landtagswahlen des vergangenen Jahres. Sie sonderte nichts als Sprechblasen und Worthülsen ab. Das Desaster der Grünen bei der Wahl in Thüringen (1,9 Prozent) verniedlichte sie zum Vermittlungsproblem. Sie redete ohne Punkt und Komma und sagte nichts – wie nicht wenige andere PolitikerInnen es auch verstehen. Diese Politikerunart ist sicher einer der Gründe, warum sich vor allem JungwählerInnen, von dem Gelaber genervt, von den Grünen abwenden.

Der Außenminister und virtuelle Parteivorsitzende Joschka Fischer spielt in einer anderen Liga als die die Sonderschullehrerin aus Flöha. Der brillante Rhetoriker ist sich nur allzu bewusst, dass die Grünen ohne ihn nichts mehr zu melden hätten.

Diese Überlegenheit veranlasste ihn im September vergangenen Jahres allerdings zu einem Anflug von Größenwahn. Kurz vor der Wahl in Sachsen begann er, die sächsische Spitzenkandidatin Gunda Röstel zu demontieren. Er werde sich mehr in der Partei engagieren. Unter einer Bedingung: dass die beiden Sprecherinnen Röstel und Radcke zurücktreten.

Die Meldung löste einen Sturm der Entrüstung in der Partei aus. Nach der endgültig vergeigten Wahl (2,6 Prozent) wollte Gunda Röstel dann auch alles hinschmeißen. Fischer, der nicht als Frauenfeind dastehen wollte, nötigte sie zum Bleiben. Gunda Röstel gab nach und blieb. Vertraute erzählen, dass von diesem Tag an klar war, dass sie nicht mehr für den Vorsitz kandidieren werde.

In den vergangenen Monaten versuchte Röstel nur noch, der Strukturreform der Partei in ihrer Amtszeit noch zum Erfolg zu verhelfen. Sie litt selbst am meisten unter den ineffektiven Strukturen,der schlechten Ausstattung der Bundesgeschäftsstelle, den stundenlangen Diskussionen im viel zu großen Parteirat. Ein kleines und effektives Parteipräsidium soll nun her. Mit ihrer ursprünglichen Idee, die Doppelspitze abzuschaffen und die Trennung von Amt und Mandat ganz aufzuheben, konnte sich Röstel im Bundesvorstand nicht durchsetzen.

Sie scheiterte vor allem an ihrer Ko-Sprecherin, der linken Antje Radcke. Die beiden Sprecher-Frauen haben kein gutes Führungsgespann abgegeben. Anfangs waren die Spannungen so groß, dass sie kaum miteinander redeten. Inzwischen sollen sie sich miteinander arrangiert haben. Möglicherweise hat das skrupellose Vorgehen des informellen Vorsitzenden Joschka Fischer die beiden zusammengeschweißt. Trotzdem traten sie selten gemeinsam auf. Sie kritisierten sich selten öffentlich, aber sie zogen so gut wie nie an einem Strang. Die Hamburgerin Radcke will im Mai wieder antreten, egal, ob die die Partei die Strukturreform beschließt oder nicht.

Der jetzt zum Parteitag am 17. März vorliegende Leitantrag ist bereits ein Kompromiss, der nur die teilweise Aufhebung der Trennung vorschlägt. Er wird voraussichtlich noch einmal aufgeweicht werden. Trotzdem stehen die Chancen nicht schlecht, dass zum ersten Mal zumindest eine der beiden Parteispitzen mit jemandem besetzt wird, der bereits ein Mandat inne hat. Röstels Nachfolger könnte ein männlicher Realo aus dem Westen sein: der Fraktionschef im Stuttgarter Landesparlament, Fritz Kuhn, genannt Fischers Fritz.