Flucht vorm Fluch der Provinz

Ausbruch aus der manischen Spiegelung eines selbst konstruierten Universums, von der künstlichen Band zu realen Musikern: Mit seinem neuesten Projekt, den Nu Dub Players, ist der Elektronikmusiker Bernd Friedmann nun in Neuseeland gelandet ■ Von Martin Pesch

Es gibt diese Anekdote von einer Begegnung Paul Austers mit Samuel Beckett. Der Amerikaner erzählt dem alten Schriftsteller, wie bedeutsam ein bestimmtes Buch Becketts für ihn sei. Beckett hört über das Kompliment hinweg. Irgendwann später, in vertrauterer Atmosphäre, beugt er sich zu Auster herüber und fragt: „Ihnen hat das Buch wirklich gefallen?“ Bernd Friedmann erzählt diese Geschichte als Parabel für seine subjektiv wahrgenommene Situation: „Ich habe überhaupt keine Selbsteinschätzung.“ Friedmann sagt auch: „Es fehlt der Andere.“ Ist das psychologisierendes Kokettieren mit einem selbst gewählten Eremitendasein? Könnte man denken, stünden Friedmanns Äußerungen nicht im Einklang mit seinem musikalischen Werk. Denn das hat sich ohne großstädtische Szeneanbindung und abseits der herrschenden Musikdiskurse entwickelt. Daraus resultiert auch eine seltsame Asynchronität im Verhältnis seiner Platten zum jeweils aktuellen Umfeld. Ob Industrial, Minimal Techno oder Dub – entweder schien er nicht mitbekommen zu haben, dass ihre Zeit vorbei ist, oder er war seiner Zeit voraus. Langsam scheinen er und die Zeitläufte Tritt zu fassen, denn eine Plattenfirma nach der anderen bedrängt ihn. „Ich merke gerade“, sagt er entschuldigend, „dass man durchaus strategischer vorgehen könnte. Aber ich habe das nie richtig verstanden. Ich mache seit 20 Jahren eigentlich nichts anderes, als Stücke zu sammeln, bis dann mal irgendjemand vorbeikommt und sagt: Lass uns doch mal eine Platte machen.“

Heute wohnt Friedmann in Köln. „Zu lange“, wie er sagt, ist er in Kassel geblieben, wo er aufgewachsen ist und Kunst studiert hat. Den Fluch der Provinz beschreibt er so: „Das Schlimme ist, dass man in so einer Stadt sehr einfach funktionierende Strukturen aufbauen kann, die für die eigene Arbeit nützlich sind. Man kennt alle, man kennt jeden persönlich, der sich auch nur potenziell für das, was man macht, interessieren könnte. Dann wird man bequem und kommt nicht mehr heraus.“ Die bildende Kunst, das hat er schnell gemerkt, war nichts für ihn. „Ich war in der Klasse, in der all die gestrandet sind, die nicht recht wussten, was sie machen sollen. Ich habe Musik gemacht und ewig Theorie gelesen.“ Ergebnis davon ist „Some More Crime“, ein gemeinsam mit Frank Hernandez betriebenes Projekt. Die letzte SMC-CD „Fuzzysets“ war Friedmanns Abschlussarbeit.

Remix eines Originals, das nicht existiert

Auf dieser Platte, die 1995 erschien, auf der aber teilweise Material noch aus den 80ern zu hören ist, zeigt sich die manische Spiegelung eines selbst konstruierten kulturellen Umfeldes. Vergleichbar mit den heute aktuellen Performances und Rauminstallationen des Künstlers Jonathan Meese präsentiert SMC auf dieser CD eine Überfülle von Anspielungen, Zitaten und musikalischen Stilen. Ergebnis ist eine radikale Überdetermination jedes Elements. Das hat zur Folge, dass das hier verarbeitete allgemein zugängliche Wissen in seiner Fülle nur noch subjektiv durchschaubar wird, mithin ein eigenenes, selbstbezügliches Universum bildet. Viele werden bei der Aufzählung der Namen von Klaus Kinski, Jacques Lacan, William S. Burroughs, Jeffrey Dahmer, Jean Baudrillard und Knut Volkerts lächeln, weil der ein oder andere Liebling dabei sein mag. Aber wie das alles zusammen und dazu noch auf eine einzelne CD gehört, das muss zwangsläufig ein Geheimnis derer bleiben, die dieses Referenz-Feuerwerk gezündet haben.

Parallel dazu entwickelt Friedmann mit seinen Soloprojekten Drome und Nonplace Urban Field ganz andere Ansätze. War Some More Crime der Fülle des Verweises gewidmet, um die Rolle des Autors dahinter zu verbergen, geschieht dasselbe insbesondere bei Nonplace Urban Field durch das entgegengesetzte Vorgehen. Die benutzten Samples werden ihrer Herkunft beraubt und in einen frei flottierenden Sound verwandelt, der über langsamen Beatsequenzen schwebt. Dub wird hier nicht als Zitat der jamaikanischen Musik verwendet, sondern als Methode, „als Remix“, wie Friedmann sagt, „eines Originals, das es nicht gibt“. Dennoch ist in den ersten beiden NUF-Alben der Wunsch zu spüren, das eigene und eigens gebastelte kulturelle Umfeld zu verlassen und Musikformen anderer Kulturen mit einzubeziehen.

Orientalische Stimmungen oder afrikanische Perkussion bleiben allerdings auf einer so artifiziellen Ebene, dass Friedmanns Musik mit dem des klassischen Exotica-Genres à la Les Baxter zu vergleichen ist. Insbesondere wenn man sich vorstellt, dass da jemand in der nordhessischen Mittelstadt mit schnurgerader Fußgängerzone sitzt. „Exotica“, schreibt Rebecca Leydon in dem empfehlenswerten Sammelband „Widening The Horizon – Exoticism in Post-War Popular Music“ (herausgegeben von Philip Hayward; erschienen bei John Libbey Ltd.), „Exotica ist eine Phantasie, die eingebettet ist in der Vorstellung von Suburbia.“ Was bei ihr auf die Vorstadtsiedlungen der amerikanischen Großstädte gemünzt ist, lässt sich ohne Probleme auf Kassel im ehemaligen Zonenrandgebiet und damit auf Nonplace Urban Field übertragen. Schon der Name dieses Projekts scheint diese Interpretation herauszufordern: unbestimmte Orte, Unorte – von ihnen aus agiert Friedmann.

Farbenreichtum und Vorstadtfantasie

Mit „Raum für Notizen“, dem dritten NUF-Album, bricht Friedmann 1996 fürs erste alle Brücken ab. Die Elektronik tritt in den Vordergrund und generiert ein ruhiges, sanft rhythmisiertes Pulsieren. Friedmann öffnet mit dieser Platte den Raum für den etwas später einschlägig werdenden Berliner Sound von Pole und einigen Projekten auf den Labels Chain Reaction und Din: elektronischer Dub ohne Herkunftsnachweis. So groß ihr Einfluss noch heute ist, für Friedmann führte dieses Album in eine Sackgasse: „Ich spüre da so einen bitteren Formalismus. Diesen ungegenständlichen Sounds, die keinen Ort haben und keinen Raum, kann ich kaum noch etwas abgewinnen. Für mich ist das Zeugnis für eine Kunst von Leuten, die ihre Maus nicht aus der Hand legen, und damit Zeugnis für unsere Zeit.“

Einen Ausweg findet er in der Zusammenarbeit mit dem in Chile lebenden Uwe Schmidt. Mit ihrem Projekt „Flanger“ veröffentlichten sie Mitte letzten Jahres das Album „Templates“. Sie versuchen, den Rahmen für elektronische Musik zu erweitern und die darin gefundenen Elemente in ihren Produktionen widerhallen zu lassen. „Es ist die Faszination für 70er-Produktionsweisen“, sagt Friedmann, „für den Farbenreichtum von Dub Reggae, Exotica, Afro-Cuban Jazz. Daran anzuknüpfen ist meine Idee, und mir geht es eigentlich darum, so eine Art künstliche Band zu schaffen, in der die Digitalmaschinen genau die gleiche Funktion haben wie die Instrumente in den 70ern. Diese Art von ungleichmäßigen, aber selbstähnlichen, sich verändernden Klangbildern sehe ich in diesen live eingespielten, durch Raumakustik bestimmten Produktionen. Ich würde gerne versuchen, das zu generieren. Dass es bei uns programmiert ist, liegt daran, dass alles andere umständlicher gewesen wäre.“

Mit seinem neuen Projekt Burnt Friedman & The Nu Dub Players setzt er diesen Ansatz fort. Er bereitet in Köln einige Stücke vor, reist mit ihnen nach Neuseeland, wo er sich seit einigen Jahren immer wieder länger aufhält, und lässt seine Kompositionen von dort aktiven Reggaemusikern einspielen. Diese Aufnahmen werden dann am Rhein erneut von Friedmann umarrangiert. Das erste Album, „Just Landed“, präsentiert einige sehr an den Wurzeln von Reggae und jamaikanischem Dub orientierte Stücke. „Reggae ist für mich sehr wichtig geworden. Vielleicht liegt das am Alter, weil diese Musik etwas Gesetztes hat. Zumindest sind mir Sachen ans Herz gewachsen, vor denen ich vor drei Jahren noch weggelaufen wäre.“

Das Weglaufen ist ein Moment der Arbeit von Friedmann – und in ihr doch nur komplementär zum Dableiben. Auf „Just Landed“ kreuzen sich die unterschiedlichsten Bahnen zwischen der Karibik und dem Südpazifik, zwischen Auckland und Köln, zwischen Sampler und Melodica. Das Exotische und das Heimische gehen ineinander auf. „Das ultimative Ziel des wahrhaft Exotischen“, schreibt David Toop in seinem Buch „Exotica – Fabricated Soundscapes In A Real World“ (im Verlag Serpent's Tail), „ist die Auslöschung der Geschichte, das Anhalten der Zeit, das Fabrizieren von Erinnerungen. Mit der Macht des Willens wird eine Identität geschaffen, basierend auf ethnischen und kulturellen Eigenheiten, die niemals zuvor existiert haben.“ Friedmann sagt: „Bis vor nicht allzu langer Zeit habe ich keine Reisen unternommen. Aus Prinzip. Ich hatte ja die Musik.“ Heute befindet er sich auf einer Reise. Aus Prinzip. Wie seine Musik.Burnt Friedman & The Nu Dub Players: „Just Landed“ (Scape/Efa)