Bouffiers „Gruselgeschichten“

■ Leidet Hessens Polizeiminister an Verfolgungswahn? Was seine Behauptung, er werde von der Mafia bedroht, mit dem Untersuchungsausschuss zur Bouffier-Affäre zu tun hat

Der Untersuchungsausschuss zur Affäre um Bouffiers„Parteienverrat“ nimmt heuteseine Arbeit wieder auf

Wiesbaden (taz) – Was war los am 21. Mai 1999 in Gießen an der Lahn? Hatte die tote Katze, die von der Polizei vor dem Haus des hessischen Innenministers Volker Bouffier gefunden wurde, tatsächlich „eindrucksvolle Schleifen im Fell“, wie von dem CDU-Mann selbst verkündet? Blutrote Schleifen natürlich. Die Mafia bediene sich solcher Einschüchterungspraktiken, gab Bouffier einem Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) Hessen, Abteilung Objektschutz, zu Protokoll. Und auch noch, dass das arme Tier „stranguliert“ worden sei.

Vielleicht mit einem Tau? In „Huckleberry Finn“ von Mark Twain bekommt Tom Sawyer eine tote Katze geschenkt, „mit `nem Tau dran zum Rumschwingen“. Wurde die schwarze Katze – nach literarischem Vorbild – mit einem Tau stranguliert? Brachte ein Junge aus der Nachbarschaft den Kadaver vorbei, um bei Bouffiers daheim den Zaun streichen zu dürfen? So wie es sich Mark Twain ausgedacht hat: im Mai 1883 am Mississippi. Brauchte der körperlich nicht mehr voll ausgelastete Innenminister, der einmal Basketballer in der Bundesligamannschaft des MTV Gießen war, also einfach nur was zum Rumschwingen? Eine tote Katze halt; an einem Tau?

Fragen über Fragen, die im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages zur Affäre um den Parteienverrat des Advokaten Volker Bouffier bis Ende 1999 (fast) alle gestellt und - zum (klammheimlichen) Entsetzen der Unionisten im Ausschuss - auch beantwortet wurden.

Die Polizeibeamten aus Gießen etwa erklärten die tote Katze bei ihrer Anhörung vor dem Ausschuss nämlich schlicht zum „Unfallopfer“. Das Tier habe sich wohl nach einem „Zusammenstoß“ mit einem Auto noch in den Vorgarten am Haus der Bouffiers „schleppen“ können und sei dann dort verendet. Von Schleifen „keine Spur“. Und Würgemale seien auch nicht zu sehen gewesen. Eine Strangulation fand nicht statt. Ein Tau wurde auch nicht gefunden. Also: keine Mafia - und nicht einmal Mark Twain als Sinnstifter.

Der hessische Staatsminister: ein überführter Lügner. Im Juni 1999 hatte Volker Bouffier den ganzen Irr- und Unsinn auf Nachfrage der Welt sogar noch einmal wiederholt.

Auch eine zweite „Gruselgeschichte von Bouffier“, so der Obmann der Bündnisgrünen im Ausschuss, Tarek Al-Wazir, wurde von der Polizei, deren oberster Dienstherr Bouffier ist, schnell widerlegt. Von dem angeblich „mit Brachialgewalt begangene Einbruch“ in seine Kanzlei am Tag vor dem angeblichen „Katzenmord“, bei dem laut Bouffier „gezielt nach Akten gesucht“ worden sei, blieb danach nicht mehr viel übrig. Offenbar Dilettanten war es nach zehn Fehlversuchen gelungen, am Kanzleigebäude mit einem „Schraubenzieher“ ein Fenster aufzuhebeln. Geklaut wurde nichts; Akten fehlten auch keine. „Ein ganz normaler – erfolgloser – Einbruch“, so die Polizei. In derselben Nacht wurde in der Nachbarschaft ein weiterer Einbruch gemeldet. So steht es im Wachbuch.

Das neue Jahr ist da; die Union in Hessen hat das alte „Volker-Problem“ weiter am Hals. Heute nimmt der Untersuchungsausschuss seine Arbeit wieder auf. Und im Landtag stellen sich nicht wenige die Frage: Leidet der Innenminister vielleicht an Verfolgungswahn?

Doch verrückt geworden ist Volker Bouffier wahrscheinlich nicht, auch wenn er hätte wissen müssen, dass seine ministeriellen Lügen „extrem kurze Beine“ haben würden. SPD und Bündnisgrüne glauben, dass der Minister mit seinen „frei erfundenen Geschichten“ (Al-Wazir) von der Täter- in die Opferrolle habe schlüpfen wollen.

Im Mai 1999 war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittungsverfahren wegen Parteienverrat gegen den Advokaten und Minister eingeleitet hatte. Bouffier soll als Anwalt in einem Scheidungsverfahren zunächst den Ehemann beraten und dann die Ehefrau vor Gericht vertreten haben; für Rechtsanwälte streng verboten – und auch mit dem juristischen Ehrenkodex unvereinbar. Nur gegen die Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 8.000 Mark, was im August 1999 zur Einstellung des Verfahrens führte, konnte Bouffier eine Anklageerhebung verhindern. Eine Verfahrenseinstellung nach § 153 a der Strafprozessordung aber, so konstatierte der Vizefraktionschef der Landes-SPD und Vorgänger von Bouffier im Amt des Innenministers, Gerhard Bökel, auch ein Jurist, sei immer eine „Variante zur Bewährungsstrafe“. Die Regelung diene der Erledigung von Verfahren im Bereich der „einfachen und mittleren Kriminalität“.

Bouffier müsse deshalb zurücktreten, forderten SPD und Grüne; oder Regierungschef Koch seinen Minister entlassen. Ein Minister, der in der Vergangenheit hohe moralische Maßstäbe an die Inhaber öffentlicher Ämter angelegt habe und ankündigte, „jeden kleinsten Regelverstoß unnachgiebig verfolgen“ zu wollen, müsse sich schließlich an seinen eigenen Ansprüchen messen lassen.

Volker Bouffier, der im Wahlkampf und auch noch danach tatsächlich die Parole vom „harten Durchgreifen“ gegen Kriminelle und auch „einfache Regelverletzter“ – etwa Ladendiebe und Sprayer – ausgegeben hatte, trat aber nicht zurück; und Koch hielt an ihm fest. Die SPD beantragte deshalb die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Der soll (auf-)klären, ob Volker Bouffier im Zusammenhang mit der Affäre um den Parteienverrat auch das Parlament und den Rechtsausschuss des Landtages belogen hat. Und ob aus dem von Christean Wagner (CDU) geführten Justizministerium heraus versucht wurde, für den Kollegen Bouffier „Einstellungsdruck“ auf die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Gießen auszuüben.

Weit gekommen mit dieser speziellen Aufklärungsarbeit ist der Ausschuss noch nicht. Es gab viel Streit um die von der Opposition geforderte „generelle Akteneinsicht“ auch in Unterlagen aus dem Scheidungsverfahren des Anwalts Bouffier. „Und jetzt müllt uns die CDU zu“, moniert Al-Wazir. Allein 42 Zeugen habe die Union benannt, Berge von Akten seien abzuarbeiten. „Das kann alles noch Monate dauern.“ Deshalb wird weiter spekuliert, warum Bouffier die Öffentlichkeit belog.

Im Landtag sucht man inzwischen auch nach politischen Erklärungen für Bouffiers „Räuberpistolen“ – und einige werden auch fündig: Bouffier habe nur deshalb suggeriert, im Visier der Mafia zu sein, weil er als der härteste Hund der Republik gelten wolle; härter noch als Beckstein in Bayern – Bouffier allein gegen die Mafia.

Die passionierten (Hobby-) Psychologen wollen sich zwar nicht outen; doch so falsch liegen sie mit ihrer Diagnose wohl nicht: Videoüberwachung von Schulhöfen gegen die „Eskalation der Gewalt“ und gegen Drogendealer und Fahrraddiebe? Bouffiers (unvollendetes) Lieblingsprojekt. Die Schleierfahndung? Schon durchgesetzt. Freiwillige Hilfspolizisten mit Pfefferspraydosen im Holster? Laufen schon herum in Hessen. Bouffier, der Marshall, hart gegen Andere. Und hart gegen sich selbst. So sieht er sich tatsächlich gerne. Und so will er gesehen werden.

Unbekannte Anrufer hätten seine Freunde „terrorisiert“, beklagte sich Bouffier öffentlich. Die Botschaft der „Kriminellen“ an seine Adresse: „Volker, du kannst den Kampf nie gewinnen.“ Man habe Mittel und Möglichkeiten, „alles tot zu machen“, soll weiter gesagt worden sein. Bild fuhr darauf ab: „Der Fall Bouffier – der Terror geht weiter.“

Das neue Jahr ist da,und die Union in Hessen hatdas alte „Volker-Problem“weiterhin am Hals

Als sich die Obleute der Opposition im Ausschuss kurz vor Weihnachten mit den angeblichen „Terroranrufen“ beschäftigen wollten, griff die Ausschussvorsitzende von der Union, Eva Kühne-Hörmann, entnervt ein. Das Thema sei durch den Untersuchungsauftrag „nicht abgedeckt“.

Bleibt die dritte – wahrscheinliche – Lüge also unaufgedeckt? Die „Mafiakatze“ und das „Aufbauschen“ des einfachen Einbruchs in der Kanzlei zu einem Verbrechen organisierter Krimineller reichten dem Obmann der SPD, Jürgen Walter, allerdings auch schon, um das „vorläufige Fazit“ zu ziehen: „Der für die öffentliche Sicherheit zuständige Minister hat sich in unerträglicher Art und Weise als Opfer dunkler Machenschaften stilisiert. Das ist für einen Polizeiminister unglaublich unprofessionell und lässt an seiner Fähigkeit für dieses Amt zweifeln.“

Und was sagt Bouffier selbst dazu? Bislang nichts. In den Ausschusssitzungen ließ er sich von einem Rechtsbeistand, einem Sozius aus seiner Kanzlei, vertreten.

In Wiesbaden jedenfalls geht der „Showdown“ im Untersuchungsausschuss weiter. Und wann geht Bouffier? In Saarbrükken, lobt Al-Wazir, habe der nach den Landtagswahlen dort von Ministerpräsident Peter Müller (CDU) zunächst erwählte Innenminister schon vor der Vereidigung auf den Amtsantritt verzichtet, weil ein staatsanwaltschaftliches Untersuchungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden war. Solche Größe habe der große Bouffier (2,10 m) nicht aufgebracht; „und die hat er halt auch einfach nicht“ (Al-Wazir).

Volker Bouffier: ein verlogener Staatsminister mit knapp 20.000 Mark „Staatsknete“ monatlich (brutto). Volker Bouffier: in diesen Skandalzeiten allerdings auch ein eher kleines Exemplar im politischen Haifischbecken.Klaus-Peter Klingelschmitt