Griffe in die Kulturgeschichte

Plädoyer für alte Werte: Jörg Burger stand im Epizentrum des rheinischen Technobebens und half, Kölns Ruf als Intellektuellen-Enklave zu festigen. Mit „The Modernist“ setzt er nun, gegen den allgemeinen Trend zur Verfeinerung, auf Party-Hedonismus ■ Von Martin Pesch

Die Studio-Büro-Suite von Jörg Burger liegt über einer Garagenzeile in einem Kölner Hinterhof. Wer das nicht weiß, geht vorne erst mal in einen Plattenladen, der mit Catpower- und alten Pixies-Plakaten gepflastert ist. Arbeitet der jetzt hier? Fast hat man schon gedacht, dass ihm das zuzutrauen wäre, da wird man vom Verkäufer auf den richtigen Pfad geschickt. Burger sitzt an einem Schreibtisch, so aufgeräumt wie er selbst. Er trägt Anzughose, der Streifen am Fred-Perry-Kragen blitzt unterm Pullover hervor.

Am Ende des Jahrzehnts also eine Audienz bei jemandem, dessen Musik während der letzten zehn Jahre Musik das Verschwinden bisher angelegter Maßstäbe und den steten Wechsel von Paradigmen widergespiegelt hat. Das Besondere daran ist, dass seine Platten in vielen Fällen, seien sie auch noch so sehr für den Gebrauch im strobo-erleuchteten Technoclub gemacht, ein beeindruckendes Plädoyer für alte Werte und alte Meister sind. Es schwingt bei Burger stets eine Sehnsucht nach den verflossenen Achtzigerjahren mit, dem Jahrzehnt, dessen Versprechen er (und einige andere) seinerzeit nicht einlösen konnten, inzwischen aber Maxi für Maxi, Album für Album abbezahlt haben. Als wollte er kurz vor Ultimo seine letzte Rate begleichen, bringt Burger jetzt ein ganzes Album unter dem Projektnamen The Modernist heraus.

Die Achtzigerjahre waren für ihn die Zeit der „immensen Arbeit unter extrem schlechten Existenzbedingungen“. Übersetzt heißt das: Musik machen unter dem Einfluss britischer Popmusik und dafür hierzulande Anerkennung finden wollen. „Prefab Sprout, Orange Juice, ABC – das waren die Maßstäbe. Wir hatten immer das Problem, dass diese Art von Autorenpop in Deutschland nicht möglich war. Aber immerhin haben wir dafür gekämpft, auch wenn es niemanden interessiert hat. 1988 kam dann die große Befreiung.“

Stunde Null nach der Acid-House-Revolution

1988 – das für alle, die die Erinnerung hier im Stich lässt – war das Jahr, in dem die ersten Nachrichten von einem Phänomen namens Acid House auch nach Deutschland drangen. „Für uns stellte sich die Lage so dar, dass wir damit den ganzen Ballast los sind. Die Texte, die Bezüge, die ganzen Kodierungen. Weg, alles weg.“ Wenn Burger von Wir spricht, meint er damit sich selbst und Wolfgang Voigt. Beide gelten auf unterschiedliche Weise als prägend für einen jeweils typischen Kölner Stil, der sich durch Reduktion auf wenige Mittel auszeichnet. 1990 begannen sie, unter den neuen Vorzeichen erste Platten zu veröffentlichen, und gemeinsam gründeten sie gleich den passenden Plattenladen, der zum Epizentrum des rheinischen Technobebens wurde. Im Gegensatz zu Voigt, dessen Kampf für einen genuin deutschen Sound zum Teil, wie Burger meint, auf den gemeinsamen Erfahrungen in den 80er-Jahren fußt, versucht er weiterhin Bezüge zu jener Zeit herzustellen, in denen man Pop noch in Versalien schrieb – und mit Ausrufezeichen hinter jedem der drei Buchstaben.

1995 veröffentlicht Burger als The Bionaut das Album „Lush Life Electronica“, dem er eine Textzeile aus einem Smiths-Song vom 86er-Album „The Queen is dead“ voranschickte. Die Musik – verhalten, melodiös, teilweise sanft – war Reaktion auf den in jener Zeit in Deutschland grassierenden Techno-Boom mit all seinem „schneller, härter, größer“. Burgers Platte erscheint demgegenüber melancholisch, einzelgängerisch und mit einer Kenntnis ausgestattet, die von der Exaltation, der Party, dem Rave zwar weiß, das alles aber schon als unwiederbringliche Vergangenheit abgebucht hat. „Lush Life Electronica“ ist deshalb ein Prototyp für eine Musik, für die schnell die Schublade Electronic Listening gefunden war. Musik, die als Transferbereich zwischen Club und Wohnzimmer fungiert.

Damals wurde auch in der von Burger mit herausgegebenen Zeitschrift House Attack ein Umgang mit Techno etabliert, der eher ein in den Achtzigern gepflegtes feinsinniges Spiel mit Wissen und Emotionen offenbarte, als die Propaganda für die Große Party zu betreiben. Köln galt damit im deutschen Techno-Reich als Enklave der Intellektuellen, und Köln hatte daran zu knabbern.

Vorsicht: Das Feuilleton feiert jetzt auch mit

Die einzige mögliche Antwort inmitten eines internationalen Trends zur Verfeinerung der Mittel war die Wiederentdeckung des Hedonismus. Und Jörg Burger formuliert sie bis heute maßgeblich mit. Sein Projekt The Modernist steht dafür. „Ich mag es schon gerne, wenn man relativ eindeutige Identitäten hat“, sagt er. Es wird unter dem Namen „The Modernist“ also keine geruhsamen Ambient-Tracks geben. Modernist-Musik resultiert aus der Erfahrung, die Burger während der letzten Jahre bei Liveauftritten in Clubs gesammelt hat. „Dort findet man heute ein Publikum, das zwar die Party will“, sagt er, „aber dennoch durch die lange Feiererfahrung immer mehr auf der Suche nach dem Besonderen ist. Ganz so einfach wie 1992 ist es also nicht mehr. Aber dadurch ist es auch musikalisch und vom Drumherum her sehr viel interessanter geworden. Für mich ist im Moment eigentlich ein Idealzustand erreicht: Früher war alles egal, Hauptsache Party, das war auch schön. Dann stürzte sich das Feuilleton drauf, die Party wurde etwas langweiliger. Inzwischen hat sich das Feuilleton eingegroovt, die feiern jetzt auch mit.“

Bei aller Party-Tauglichkeit ist für Burger das von ihm angesprochene Drumherum sehr wichtig. Das 1997 erschienene Modernist-Album „Opportunity Knox“ lehnte sich schon durch den Pop-Art-Bezug auf dem Plattencover an die Sechzigerjahre an. Und bei einigen der angedeuteten Melodiebögen und Harmonien erschienen für Momente ein Beatles-Refrain oder ein Beach-Boys-Chorus im Gedächtnis. „Das war ganz klar Mod-geprägt“, sagt Burger und ergänzt: „Modernist ist ein Name, der viele Möglichkeiten bietet, und so lange mir was einfällt dazu, werde ich zeigen, dass man mit Techno mehr machen kann, als lediglich Techno-Geschichte aufzuarbeiten.“

Von der Mod-Ästhetik zur modernen Kunst

Burger schlägt größere Bögen. Von der Mod-Ästhetik zur Kunst der klassischen Moderne. Die Cover der beiden zuletzt veröffentlichten Maxi-Singles nehmen Anleihen an Hannah Höch und die Futuro-Architektur von Doesburgs. Das jetzt erschienene Album „Explosion“ schmückt ein Versatzstück des russischen Konstruktivismus. Einerseits bleiben diese Griffe in die Kulturgeschichte Dekor; andererseits sind sie durchaus schlüssig mit der Musik verbunden, weil in ihr Akzente des Modernismus mitschwingen, der auch den aufgegriffenen Zitaten eigen ist: Eleganz und die Ahnung, das die Zukunft eine Verbesserung der Lebensumstände bringt. In Modernist-Tracks spiegelt sich das in einem unwiderstehlichen Swing, der die Unannehmlichkeit des gegenwärtigen Augenblicks schon in der Gewissheit auf den spätestens morgen zur Verfügung stehenden Komfort aufgehoben hat.

Als Gegensatz erscheint zuerst, dass Burger in seiner Musik ohne Samples auskommt. Das Erinnerungsgeflecht, das er um seine Musik legt, besteht aus von ihm eigens gewobenen Klängen. „Man kann zwar jeden Sample total verdrehen, bis er scheinbar wie etwas Selbstgemachtes klingt, aber mir ist immer wichtig, noch weiter vorne anzufangen. Ich möchte Sachen hören, die aus mir selber kommen, von denen ich weiß, dass sie mir gehören.“ Haben wir da richtig gehört? Ist denn so ein Essentialismus in Zeiten rhizomatischer Systemgenerierung und der Aushöhlung des Begriffs Urheberschaft noch statthaft? Egal. Burger weiß die alten Werte zu schätzen und zieht auch in seinem Alter und nach all den Jahren weiter durch die Clubs. „Ich nehme sicher keinen Rolling-Stones-Faktor in Anspruch. Ich mache weder auf noch hinter der Bühne Sachen, die den Eindruck erwecken könnten, ich sei ein Teenie. Solange ich ich sein kann, habe ich mit diesem Geschäft kein Problem. Iggy Pop, obwohl er eine klasse Figur hat, finde ich schon problematisch.“ Aber Iggy Pop schreibt sich auch weder mit Großbuchstaben noch mit Ausrufezeichen hinter jedem Buchstaben.The Modernist: „Explosion“ (Popular Tools / Sony)The Modernist live, heute ab 20 Uhr beim „1. Schmalclub“ im TAT, Bockenheimer Depot, Frankfurt a. M.