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: Wie der Kanzler auf Sat.1

„Ein Tag mit Joschka Fischer“, Mi., 21.35 Uhr, ARD

Ehre, wem Ehre gebührt. Seit die Landtagswahlen in NRW und Bremen die Grünen als dritte Kraft bestätigten, ist Joschka Fischer unbestritten Mitglied der allerersten Politgarde des Landes. Seitdem hat auch Fischers Medienpräsenz noch einmal enorm zugelegt. Der Spiegel widmete ihm eine personality story, niemand lacht mehr, wenn über ihn als Außenminister spekuliert wird, und die ARD zeigt ein Porträt, das aus der Reihe „Große Männer der Geschichte“ hätte stammen können.

Joschka, womit hast du das verdient? Ein Kanzlerporträt auf SAT.1 hätte kein anschmiegsamerer Werbefilm werden können als das von der einstigen Pflasterstrand-Mitarbeiterin Ester Schapira in deinem Haussender HR produzierte Stück.

Du stehst in der Küche und versicherst, du kochtest nicht nur, wenn das Fernsehen da ist. Du sitzt mit den Kumpels aus alten, wilden Tagen in der Kneipe, die jetzt ziemlich nobel aussieht und einem der Kumpels gehört, und mußt mal kurz im Kreise deiner Lieben über Utopien schwadronieren. Sie, die Frau an deiner Seite, erzählt, wie sie dich, man glaubt es nicht, ausgerechnet im Bundestag kennenlernte (du gelangweilt im Plenum, sie auf der Besuchertribüne, du nach oben schauend).

Selbst wenn der Film den Anspruch hatte, Joschka nicht als Politiker, sondern als Privatperson zu zeigen — so glatt, so nett war das Leben auch in der Frankfurter Spontiszene nicht. Vor allem, man erfuhr nichts. Warum ging der Sponti in eine Partei, warum wurde aus dem Street- fighter der Oberrealo? Was bewegt und motiviert Joschka Fischer? Doch selbst die naheliegende Frage, wie du mit dem enormen Druck fertig wirst, den deine überragende Rolle bei den Grünen für dich persönlich bedeutet, wurde nicht gestellt. Der Film ließ lediglich vermuten: durch Fußballspielen.

Wenn man sich nicht um alles selbst kümmert! Du hättest dafür sorgen müssen, daß wenigstens eine Kritikerin in dem Film zu Wort kommt, wenigstens ein Kumpel aus alten Tagen, der behauptet, dieser Joschka hat doch längst seine Ideale verraten. So harmlos wie in diesem Film bist du doch glücklicherweise nicht. Sonst könnten wir den Politiker Fischer ja gleich vergessen. Immerhin, du hast die taz als deine Pflichtlektüre erwähnt, da können wir schon mal eine Stunde Werbung für dich vor der Glotze absitzen. Jürgen Gottschlich