Hass gegen Selbsthass

■ Wer spricht? In „Vertrauen gegen Vertrauen“ versammelt Paule Constant vier erfolgreiche Frauen in einer Wohnküche in Kansas

Lola erwacht. Die Nacht war lang, der Morgen ist schon jetzt zu kurz, und das Elend fällt sie an. „Diese Frauenkolloquien voller Frauen, die nur über Frauen sprechen, und wo sie als Frau Frauentexte vorlas, waren ein Alptraum für sie.“ Lola ist keine Feministin, aber sie ist als Schauspielerin ein Mythos auch der Frauenbewegung – wie Marylin und Greta, wie Marlene und Bette. Sie ist nun so alt geworden, dass sie Teil eines feministischen Programms sein darf und auch noch dankbar dafür sein muss. Gleich wird sie in der Frauenküche in dieser Frauenwohnung die drei anderen Frauen vorfinden, wird mit ihnen die Bilanz der Veranstaltung ziehen, wird sich solidarisch und heiter geben, voller Anteilnahme und Wärme. Sie hasst sich jetzt schon dafür, und sie hasst diesen Frauenzirkus, auf den sie inzwischen angewiesen ist.

Paule Constants neuer Roman heißt „Vertrauen gegen Vertrauen“, aber „Hass gegen Selbsthass“ wäre auch ganz passend gewesen. Er versammelt vier äußerlich starke, erfolgreiche Frauen in einer Wohnküche in Kansas, die alle an einem feministischen Kongress an der Universität teilgenommen haben. Die französische Schriftstellerin Aurore, die unglücklich verheiratete Anglistin Babette, die schwarze Funktionsträgerin Gloria und die alternde Lola verbringen ein paar Stunden miteinander, worüber recht viel Lesezeit vergeht. Denn Constant beschreibt weniger ihre Interaktionen und Gespräche; sie nimmt die Situation zum Anlass, um die Lebensgeschichten der Einzelnen zu rekapitulieren, in inneren Monologen und Reflexionen.

Im französischen Roman ist dieses Prinzip des Nicht-Erzählens geschätzt und verbreitet, und das ist ein Grund dafür, dass im eher von amerikanischen Vorbildern geprägten deutschen Literaturraum Übersetzungen aus Frankreich verschwindend selten sind. Constant hat für diesen, ihren letzten Roman den Prix Goncourt erhalten, was den Mut des Verlages für diese Übertragung befeuert haben mag. Jedoch nur sehr bedingt kann das Ergebnis diesen Mut rechtfertigen.

Das hat nichts mit der Übersetzung zu tun, die Michael Kleeberg in einem wortreichen, schwingenden Stil sehr elegant gemeistert hat. Eher mit den Unklarheiten von Constants Erzählweise, die eben nicht Versehen, sondern Programm sind – mag die Zusammenstellung der Adjektive „intensiv und oberflächlich“ Kleebergs Entscheidung sein, das Oszillieren zwischen den Perspektiven, eine mutwillige Vagheit bis in die Wirrniss hinein, das ist eben Constant: Die Verwebung der Perspektiven unterschiedlicher Frauenfiguren und der Erzählerin selbst, eine Melange aus Wahrnehmungen, Erinnerungen und Reflexion, in der trotz allen Aufwands an Abgrenzung – den die Figuren voneinander und ihrer Erzählerin treiben – deren Konturen immer wieder verschimmen. Wer spricht, wer fühlt, wer denkt?

Möglicherweise soll auch diese Unklarheit dem Ineinander Ausdruck geben, das Milieu, Geschlecht, gemeinsame Zeiten und Ziele vermitteln – aber während Constants inhaltliche Intention gerade dieses Gewebe als Ideologie entlarven will, unterläuft ihr ästhetisches Programm dieser Absicht. Weil es keinen Ort des Erzählens gibt, bleibt auch der ganze Roman ohne Perspektive: Es teilt sich dem Leser nicht mit, warum diese komplizierten, vom Leben naturgemäß gebeutelten und dennoch kämpfenden Frauen Interesse und Mitgefühl verdienen sollen – was man zum Lesen so braucht.

„Vertrauen gegen Vertrauen“ ist weder eine ironisch-informierte Milieustudie der Frauenbewegung à la Fay Weldon geworden noch ein raffiniert konstruierter Roman über vier Gestalten der Gegenwart, die in typischen Konflikten ihres Geschlechts, ihrer Sozialisation und Ethnie leben. Eher ein im Grundton melancholisches, in einzelnen Beobachtungen witziges und scharfsinniges Sammelsurium von schönen Sätzen über Umstände und Personen, die keine Spur im Gedächtnis hinterlassen.

Elke Schmitter
‚/B‘ Paule Constant: „Vertrauen gegen Vertrauen“. Aus dem Französischen von Michael Kleeberg. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main, 270 Seiten, 39,80 DM