Dahinter steckte ein kluger Kopf

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wird fünfzig – und wird sich feiern: als unabhängig, kritisch, überparteilich. Was interessiert da schon, dass ihr Gründer Otto Klepper sich nach nur zwei Jahren, 1951, von der Zeitung trennte – weil sie nationales Ressentiment und restaurative Tendenzen pflegte? Über den Nazigegner und Demokraten Otto Klepper und über die Gründungsgeschichte, von der die „FAZ“ nichts wissen will Astrid von Pufendorf

Ein milder Herbsttag, Königstein im Taunus. Kurt Kersten, Herausgeber der amerikanischen Emigrantenzeitschrift Aufbau, war aus New York gekommen, um seinen Freund Otto Klepper zu besuchen. „Er war ein müder alter Mann voller Gram, und einmal sprach er ganz leise: ,Wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, wäre ich nicht zurückgekommen‘ “, berichtet Kersten. Das war 1956, ein halbes Jahr vor Kleppers Tod.

Warum war dieser kämpferische Mann, der sich ein Leben lang für ein demokratisches Deutschland, für die „Utopie von morgen“, eingesetzt hatte, derart resigniert? Grund war die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Otto Klepper sah sein letztes Projekt als gescheitert an: die FAZ als eine kritische, unabhängige Zeitung zu erhalten.

Otto Klepper – geistiger Vater, Organisator und erster Geschäftsführer der FAZ. Er entwickelte ihre publizistischen Grundsätze sowie die politischen Leitlinien der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft (Wipog), die Hauptgeldgeberin der FAZ werden sollte.

Klepper, 1888 in Thüringen geboren, stammte aus einer hugenottischen Juristen- und Kaufmannsfamilie. Er hat sich selbst stets als „Kärrner für die nach uns Kommenden“ verstanden. Der parteilose Politiker scheute sich nicht, mit Vertretern sämtlicher politischen Strömungen zusammenzuarbeiten, und galt daher als unbequemer Demokrat, als „ein Mensch zwischen den Zeiten“, wie ihn etwa Albert Theile, Herausgeber der chilenischen Exilzeitschrift Deutsche Blätter, nannte.

Begonnen hatte Kleppers Karriere in den Jahren 1928 bis 1931, als der Jurist Präsident der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse, der Vorgängerin der heutigen Deutschen Genossenschaftsbank, wurde. Er sanierte die so genannte Preußenkasse und rationalisierte das uneffektiv gewordene deutsche Genossenschaftswesen.

Die meisten Feinde schuf er sich allerdings, als er gegen den massiven Widerstand der ostelbischen Großgrundbesitzer für eine Agrarreform eintrat, die die teilweise verschuldeten landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland zwingen wollte, nach den Gesetzen des Marktes zu arbeiten. Noch schwieriger wurde es für Klepper, als er – ohne parteipolitischen Rückhalt – mitten in der Weltwirtschaftskrise das preußische Finanzministerium im Kabinett Otto Braun (SPD) übernahm. Mit einer einschneidenden Verwaltungsreform und zwei Finanz-Notverordnungen kämpfte er für die Erhaltung Preußens – gegen den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning und den Monarchisten Franz von Papen.

Den Staatsstreich von Papen am 20. Juli 1932 konnte Klepper nicht verhindern – die Sozialdemokratie wollte im Gegensatz zu ihm und den Volkswohlfahrtsminister Heinrich Hirtsiefer (Zentrum) einen gewaltsamen Widerstand nicht in Kauf nehmen. Otto Klepper prognostizierte, dass nun das letzte Bollwerk gegen den Nationalsozialismus gefallen war und mit einem Krieg zu rechnen sei.

1933 musste Otto Klepper fliehen – die Nazis verfolgten den verhassten Demokraten über Jahre und bis nach China. Die erste Station – Finnland. Bereits im Frühjahr 1933, als einer der ersten Regimegegner, veröffentlichte der ehemalige Finanzminister in der schwedischen Göteborgs Handels- och Sjöfarts-Tidning eine Serie von Analysen über den Zusammenbruch der Weimarer Republik und den Beginn der NS-Herrschaft. Auf Druck des Naziregimes musste die Familie mit ihren drei Kindern erneut fliehen.

Die zweite Station – Paris. Dort wurden die Kleppers zwar nicht ausgeliefert, konnten sich jedoch das teure Exil nicht leisten. Die dritte Station – Mallorca für Frau und Kinder, China für Otto Klepper, der dort als Finanz- und Agrarberater verpflichtet wurde. Er entwarf eine Agrarreform für die Kuomintang unter General Tschiang Kai-shek, die Mao Tse-tung später in sehr viel radikalerer Form durchführen sollte. Selbst in China war Klepper nicht vor den Nazis sicher, erneut musste er fliehen. Die vierte Station – die USA, wo er unter anderem bei B. Charney Vladeck, einem gebürtigen russischen Juden, finanzielle Unterstützung für seinen Widerstand gegen die Nazis fand. Wieder in Mallorca bei seiner Familie, nahm Klepper 1935 Kontakt zu bürgerlichen Emigranten und zu dem Kommunisten Willi Münzenberg in Paris auf. Er entwarf politische Konzepte für die sich allmählich formierende Volksfront deutscher Emigranten – und für ein Deutschland nach Hitler.

Die fünfte Station – Paris, wohin er sich bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Sommer 1936 mit französischer Hilfe gerade noch retten konnte. Dort beteiligte er sich zunächst an der Volksfront, empfand diese aber bald als uneffektiv und organisierte zusammen mit anderen politischen Emigranten die Deutsche Freiheitspartei, eine Untergrundorganisation, die Widerstand in Deutschland leistete. In Münzenbergs Zeitschrift Die Zukunft veröffentlichte er programmatische Artikel zur Naziherrschaft und politischen Zukunft Deutschlands. Die Gruppe um Die Zukunft, der Mitarbeiter aller politischen Richtungen angehörten, gründete zusammen mit Franzosen, von denen später viele zur Résistance gingen, vier Monate vor dem Zweiten Weltkrieg die Deutsch-Französische Union. Sie wollten gemeinsam demonstrieren, dass die beiden Länder zusammengehören, ein Ziel, das Klepper schon in der Weimarer Zeit und das er nach dem Krieg erneut verfolgte.

Vergeblich. Im September 1939 brach der Krieg aus. Klepper wurde in Südwestfrankreich interniert, von Freunden gerettet und versteckt, bis er im Frühjahr 1942 mit Hilfe des American Rescue Committee von Varian Frey unter falschem Namen nach Mexiko entkommen konnte. Dort blieb er bis Ende des Krieges. Seine beiden in den Deutschen Blättern in Chile 1946 veröffentlichten Artikel „Vorfragen des Friedens“ und „Die Kunst des Möglichen“ enthalten bereits seine gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die später Grundsätze der Wipog und der FAZ werden. „Die Entscheidung darüber, ob Freiheit oder Knechtschaft walten, fällt nicht im Bereich der Staats-, sondern der Gesellschaftspolitik“, schrieb Klepper. Die unmittelbare Aufgabe dieser Politik sah der Exilant darin, „die Erhebung des Bedürfnisses zum Maßstab für die Anteilnahme des einzelnen an den materiellen Lebensgütern“ zu machen. Also die Freiheit im Gefüge der Ökonomie zu verankern.

Die Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren, fiel Otto Klepper sehr schwer, zumal seine Familie, inzwischen in die USA emigriert, nicht mitgehen wollte. Seine Rückkehr begründete er schließlich damit, helfen zu wollen, die neue – 1918 schon einmal verpasste Chance – für ein demokratisches Deutschland diesmal zu verwirklichen.

Erst im Frühsommer – nach zähen Verhandlungen mit den Besatzungsbehörden – konnte Otto Klepper über die Schweiz nach Frankfurt einreisen. Nach seiner Rückkehr urteilte er ernüchtert: „Ein Volk, das sein inneres Gleichgewicht verloren hat, kann durch Leistungen auf dem Teilgebiet der Wirtschaft allein nicht gesunden; auch Völker leben nicht vom Brot allein.“ Er folgerte daraus, dass die Wirtschaftspolitik durch eine politische Idee gesteuert werden müsse.

In der deutschen Nachkriegspolitik hatte der ehemalige Finanzminister keine Chance – dabei war er noch im März 1947 in Paris als politischer Hoffnungsträger vom damaligen Außenminister Robert Schuman im Quai d'Orsay geehrt worden. Doch Klepper konnte sich nicht überwinden, in eine der wieder gegründeten Parteien einzutreten – er hielt sie allesamt für zu rückwärtsgewandt. Als Gestaltungsinstrument blieb ihm da nur die publizistische Arbeit: die Wipog, die er 1947 mitbegründete, und die FAZ.

Die Ziele der Wipog waren: eine tragfähige demokratische Tradition in Deutschland, eine politisch organisierte gerechte Gesellschaft, die über alle Interessengegensätze hinweg einen nationalen Konsens zustande bringt, und ein vereintes Europa. Die Wipog verpflichtete sich, am Aufbau einer sozialen Marktwirtschaft mitzuwirken – und wollte die nicht besitzenden Schichten „entproletarisieren“, indem sie an dem erhöhten Ertrag der gesellschaftlichen Arbeitsleistung beteiligt würden und die betriebliche Mitbestimmung erhielten. Voraussetzung sei Deutschlands Eingliederung in eine arbeitsteilige Weltwirtschaft.

Otto Klepper hielt sein Projekt, „sein Lieblingskind“ FAZ, am Ende seines Lebens für gescheitert. Inzwischen könnte er vielleicht sogar wieder Gefallen an dieser Zeitung finden, ist sie doch kritischer und liberaler geworden. Im Winter 1950 indes war die FAZ dabei, ihre sozial verpflichtete, antikapitalistische und dem neuen Staat gegenüber kritische Einstellung zu verlieren.

Die erste Nummer der FAZ erschien am 1. November 1949, das Zeitungsprojekt ließ sich gut an, die Abonnentenzahlen stiegen, die Inserate nahmen zu. In der Gesellschafterversammlung am 30. Januar 1950 wurde Otto Klepper, Geschäftsführer der Zeitung und zugleich Vorsitzender des Hauptgeldgebers Wipog, für den ungewöhnlichen Erfolg gedankt, und noch im Februar 1950 lobten die Gesellschafter, dass die FAZ bereits als die beste deutsche Zeitung anzusehen sei.

Warum kam es dann im Herbst 1951 zur Trennung von Wipog und FAZ?

Da war einmal Kleppers unbeugsamer Wille, an seinem verlegerischen Konzept festzuhalten. Da war zum anderen der zunehmende (finanzielle) Egoismus einzelner Geldgeber. Hinzu kam das deutliche Bedürfnis vieler Leser und einflussreicher Politiker, die nationalsozialistische Vergangenheit ruhen zu lassen, und der entsprechend nachlassende Wille der Redaktion, einen unabhängigen und kritischen Standpunkt gegenüber den herrschenden Meinungen und dem massiven politischen Einfluss der Regierenden zu wahren.

Otto Klepper kritisierte, dass in der Zeitung „immer wieder das nationale Ressentiment“ angesprochen wurde und dass „sozialreaktionäre und restaurative Tendenzen“ auch im Interesse des Unternehmertums schädlich, ja „gefährlich“ seien. Es mehrten sich Beschwerden, etwa von dem ersten deutschen Botschafter in Chile, Carl von Campe, über die Veränderung der ursprünglichen Linie der FAZ. In der französischen Le Monde wurde die FAZ gar als „Blatt des Kanzlers Adenauer“ bezeichnet.

Am 22. Mai 1950 bietet Otto Klepper seinen Rücktritt als Geschäftsführer der FAZ an.

Die folgende Trennung von Wipog und FAZ spiegelt exemplarisch die wirtschaftlichen und politischen Probleme der frühen Nachkriegszeit wider: die Auseinandersetzungen über den angemessenen Umgang mit dem Erbe der braunen Vergangenheit und den richtigen Weg Deutschlands in die Zukunft.

Astrid von Pufendorf, 62, Historikerin und Publizistin aus Düsseldorf, arbeitet über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus. Von ihr erschien „Otto Klepper. Deutscher Patriot und Weltbürger“, Oldenbourg-Verlag, München, 1997, 341 S., 88 Mark