Der Abriss ist weder einfach noch billig

■ taz-Serie „Viele gute Gründe für einen Atomausstieg“: Die Demontage des Mini-AKWs Kahl dauert 20 Jahre und kostet 300 Millionen Mark

Frankfurt (taz) – Was ist der Bau eines AKW gegen seinen Abriss? Die Bauzeit für das Versuchsatomkraftwerk Kahl (VAK) im bayerischen Karlstein am Main, hart an der Grenze zu Hessen, betrug zwei Jahre. Abrisszeit: vermutlich 20 Jahre.

Seit 1985 wird der 31.330 Tonnen schwere 16-Megawatt-Reaktor, der zu 80 Prozent RWE und zu 20 Prozent den Bayernwerken (Viag) gehört, in einzeln genehmigungspflichtigen Teilschritten abgerissen. Bis zum Reaktorkern sind die Demonteure bis heute – also 14 Jahre nach der Abschaltung – noch nicht vorgedrungen. Kosten: geschätzte 300 Millionen Mark.

Gebaut wurde der kleine Reaktor 1960 für nur 30 Millionen Mark. Am Netz produzierte er zwei Millionen Megawattstunden Strom und knapp 100 Störfälle, darunter mindestens sechs schwere, bei denen Radioaktivität freigesetzt wurde.

Schon der im Vergleich mit den Giganten etwa in Biblis (2.000 Megawatt) winzige Versuchsreaktor verursacht beim Abriss größte Probleme. Ganze drei Jahre haben RWE und Bayernwerk gebraucht, um alleine das Gebäude um den Reaktordruckbehälter herum leerzuräumen und dann abzureißen. Sämtliche Behältnisse, Rohrleitungen und Maschinen, die mit radioaktiven Stoffen in Berührung gekommen waren, mussten entweder entleert oder dekontaminiert und dann abtransportiert oder demontiert werden.

Nach Behördenauflage wurde dafür extra eine Halle an das Reaktorgebäude angebaut. Was dort nicht dekontaminiert werden konnte, weil die Verstrahlung extrem hoch war, musste verschweißt – etwa Rohrleitungen – und dann zu einem Spezialbetrieb für Dekontamination in Schweden verfrachtet werden. Auch die Brennelemente aus dem VAK wurden in Schweden zwischengelagert.

Mit der zweiten Stilllegungsgenehmigung von 1991 gestattete das bayerische Umweltministerium dann den Abbau von Systemen und Anlagen im Kontrollbereich und die „Entseuchung des Primärkreislaufes“ mit einem von RWE entwickelten Spezialverfahren. Dabei kam es 1992 zu einem folgenschweren Unfall: Aus defekten Rohrleitungen trat radioaktiver Dampf aus, ein Arbeiter wurde verbrüht. Die Abrissarbeiten verzögerten sich um Monate.

Eine Klage von Umweltschützern und Grünen auf Beteiligung der Öffentlichkeit am gesamten Abrissverfahren schmettert der Verwaltungsgerichtshof in München ab. „Es gab nicht einen Erörterungstermin zur Information der Bevölkerung“, schimpfte Eduard Bernhard vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Seit Ende der 60er-Jahre kämpfte Bernhard gegen den Betrieb den Versuchsatomreaktors, jetzt ist es der „geheime Abriss“, den er nicht einfach hinnehmen will. „Wir wissen bis heute nicht, ob bei der Demontage die Umwelt radioaktiv belastet wurde – und weiter belastet wird.“

Die ehemaligen Betreiber des VAK haben mit dem Abriss Neuland betreten. Sie seien die „Pioniere“ bei der Demontage, sagte ein Sprecher von RWE-Energie. Ähnlich wie in Karlstein werden wohl auch die 19 deutschen AKW demontiert werden – wenn der Ausstieg beschlossene Sache ist.

Die dritte und letzte Stilllegungsgenehmigung für das klitzekleine VAK wurde übrigens im Mai 1993 erteilt. Bis heute arbeiten die Demonteure daran, den Reaktordruckbehälter abzubauen. Aus der Landschaft verschwunden sein soll das VAK spätestens 2005. Klaus-Peter Klingelschmitt