Das Schwirren der halbseidenen Existenzen

■ Der Film zum Kuba-Kult ganz ohne Kitsch und Klischee: Daniel Diaz Torres' „Kleines Tropikana“ ist die erste deutsch-kubanische Koproduktion seit dem Ende der DDR

Kuba, das ist spätestens seit Ry Cooders Entdeckung der Old boy group „Buena Vista Social Club“ und Wenders' gleichnamigem Film für viele Deutsche die Alternative zu Ballermann auf Mallorca. Höchste Zeit, dass mal ein kubanischer Film daherkommt, der die Sache etwas anders aufzieht, der voller Genuss die wechselseitigen Klischees bis zur Kenntlichkeit verzerrt.

Bereits der Titel von Daniel Diaz Torres' Film spielt auf ein unverwüstliches Kuba-Klischee an: das legendäre Kabarett „Tropikana“ im Herzen Havannas. Dort, wo in den Vierzigern halbseidene Existenzen ein und aus schwirrten, werden heute Busladungen von Dollar-Touristen in Bermudashorts hingekarrt. In „Kleines Tropikana“, der ersten deutsch-kubanischen Koproduktion seit DDR-Zeiten, segnet ein deutscher Tourist namens Hermann Pangloss in Havanna das Zeitliche. Am Morgen nach einer bizarren Kostümfete wird er als Vogel verkleidet aufgefunden. Er ist von einem Dach gesegelt. Mord, Selbstmord oder ein Komplott? Der junge Polizist Lorenzo Columbio (Vladimir Cruz) stürzt sich Hals über Kopf in den Fall. Pangloss, Sohn eines Deutschen, der in den Vierzigern nach Kuba kam, und einer Tänzerin aus dem legendären „Tropicanita“, war dem Schicksal seiner Mutter auf der Spur. Lorenzo, gerade aus der Provinz nach Havanna gekommen, träumt davon, Romane zu schreiben, und steigert sich in die Idee hinein, dass es zwischen ihm und dem Deutschen Verwandtschaften gibt. Hemmungslos mischt Diaz Torres die Realitätsebenen. Am Ende ist das ganze Filmpersonal auf kuriose Art miteinander verwoben: die schöne Psychologin Silvia, die Hermann den Kopf verdreht, und seine mit telepathischen Fähigkeiten ausgestattete Zimmerwirtin. Ein Antiquitätenschieber und ein giftiger Altnazi. Der spröde Deutsche Hermann und der junge Kubaner Lorenzo, dem die Phantasie durchgeht.

Wie sein Film-Ego Hermann Pangloss war auch Hauptdarsteller Peter Lohmeyer zum ersten Mal auf Kuba. „Daniel hatte mich gebeten, ein bisschen Spanisch zu lernen, weil fünf Sätze meiner Rolle auf Spanisch wären“, erzählt Lohmeyer. „Man bat mich auch, Kostüme zu besorgen.“ Für sein Touristenoutfit latschte Lohmeyer einfach in Hamburg zu H & M. Schwieriger war es, Naziuniformen und Klamotten für die Schwarzwaldmädel zu organisieren. Nachdem Lohmeyer seine dubiosen Gepäckstücke durch die Flughafenkontrollen gebracht hatte, empfing Diaz Torres ihn in Havanna mit den Worten: „Todo se cambió“ – „alles hat sich geändert“. Jetzt sollten nur noch fünf Sätze auf Deutsch und der Rest auf Spanisch sein.

Doch das Hauptproblem war während der Dreharbeiten ein anderes: gleichzeitig Teil eines kubanischen Filmteams und privilegierter Ausländer zu sein. Die Tatsache, dass Lohmeyer umgerechnet zwanzigmal so viel Gage bekam wie Vladimir Cruz, der andere Hauptdarsteller, habe ihm schwer im Magen gelegen. Vladimir habe jedoch gemeint: „Wenn du das Geld nicht nehmen würdest, hätte sich der deutsche Koproduzent dafür ein Haus in Frankreich gekauft.“

In „Kleines Tropikana“ schlägt Diaz Torres andere Töne an als in seiner politischen Satire „Alicia am Ort der Wunder“, die 1991 international für Furore sorgte und auf Kuba jahrelang verboten war. Das subversive Potenzial von „Kleines Tropikana“ ist anderer Natur: Es stellt die Mystifikation historischer Realitäten und die Existenz absoluter Wahrheiten in Frage. Wie viele andere kubanische Künstler beherrscht Torres den Spagat zwischen Kritik an den herrschenden Zuständen und grundsätzlicher Loyalität sozialistischen Ideen gegenüber. Besonders scharf kritisiert der Regisseur, dass manche „politischen Ideologen“ auf der Insel die Schlüsselrolle der Kultur nicht begreifen würden. „Ich glaube, dass alles, was zur Wertschätzung eines Volkes beiträgt, dieses Volk verteidigt. Kuba ist etwas Besonderes. Heute mehr aufgrund der Kultur als wegen der sozialistischen Ideologie.“

Deshalb sieht Diaz Torres den „Kuba-Boom“ in Europa positiv – auch wenn er den touristischen Blickwinkel von Filmen wie „Buena Vista Social Club“ kritisiert: „Ry Cooder braust mit seinem Motorrad durch Havanna, wie Indiana Jones in das Gebiet eines mysteriösen Stammes einreitet.“ Auch Lohmeyer sieht die Kuba-Mode als Möglichkeit, um ein breites Publikum zu interessieren: „Es wäre schön, jetzt zu gucken, was es außer Musik, schönen Frauen und Zigarren sonst noch auf Kuba gibt. Wie sieht das Leben aus, wie fühlen sich die Menschen?“

Beim nächsten Film von Daniel Diaz Torres ist Peter Lohmeyer wieder mit von der Partie. In „Hacerse el succo“ wird er einen deutschen Kleinkriminellen mimen, der sich in Havanna einnistet, um Touristen auszurauben. Wieder wird sich Daniel Diaz Torres wechselseitige Klischees vorknöpfen: „Viele Kubaner idealisieren Leute, die aus Europa kommen. Gerade Nordeuropäer hält man für besonders vertrauenswürdig.“ Und genau diese Vor(ur)teile wird der Held des neuen Films weidlich ausnutzen. Ein Kuba-Tourist nach dem anderen fällt ihm zum Opfer. Wenn das keine subversive Story ist.

Bettina Bremme
‚/B‘ „Kleines Tropikana“. Regie: Daniel Diaz Torres, Kuba/Deutschland 1997, 112 Minuten. Mit Peter Lohmeyer und Vladimir Cruz