„Einfache und mittlere Kriminalität“

■ Ermittlungen gegen hessischen Innenminister sollen eingestellt werden. Rot-grüne Opposition glaubt nicht an seine Unschuld

Frankfurt/Main (taz) – Volker Bouffier (47), Hardliner der CDU und hessischer Innenminister im CDU/FDP-Kabinett von Ministerpräsident Roland Koch, steht auf der Abschussliste der Oppositionsparteien. SPD und Bündnisgrüne fordern den Rücktritt des smarten, aber harten Juristen aus Gießen. Denn am Mittwoch wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft in Gießen ein laufendes Ermittlungsverfahren wegen „Parteienverrat“ gegen Bouffier zwar einzustellen gedenkt, aber nur gegen die Zahlung einer Geldbuße in (noch) unbekannter Höhe. Als Anwalt in einer Scheidungsangelegenheit hatte Bouffier vor seiner Berufung zum Innenminister zunächst den Ehemann juristisch beraten, dann aber vor Gericht die Ehefrau vertreten: „Parteienverrat“ lautete der Vorwurf. Zudem beantragte er Prozesskostenhilfe für seine wohlhabende Mandantin. Alles streng verboten für Advokaten; zugleich handelte es sich umVerstöße gegen den juristischen Ehrenkodex.

Die Bouffier jetzt von der Staatsanwaltschaft angebotene Verfahrenseinstellung nach § 153a der Strafprozessordung basiere auf einem hinreichenden Tatverdacht, konstatierte gestern die Sprecherin der Landtagsfraktion der Bündnisgrünen, Elke Cezanne. Eine Einstellung nach diesem Paragraphen sei „keine Einstellung wegen Geringfügigkeit“.

Genau so sieht das der ehemalige hessische Innenminister und amtierende stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Gerhard Bökel: „Diese Regelung dient der vereinfachten Erledigung von Verfahren im Bereich der einfachen und mittleren Kriminialität.“ Als Beispiele nannte Bökel die Delikte „Diebstahl, Steuerhinterziehung und fahrlässige Tötung“. Es gehe also „nicht um Bagatelldelikte“. Schließlich seien auch Ermittlungsverfahren wegen „verwerfbarer Korruptionsdelikte“, begangen etwa von Kommunalpolitikern, oder wegen Autobahnblockaden kurdischer Extremisten nach § 153 a Strafprozessordnung eingestellt worden – gegen Zahlung einer Geldbuße.

Dass Bouffier überhaupt so billig davonkomme, habe er ohnhin nur dem ehemaligen grünen Justizminister Rupert von Plottnitz zu verdanken, feixte Plottnitz' Parteifreundin Cezanne. Dieser habe in seiner Amtszeit die Staatsanwaltschaften angewiesen, mehr Verfahren nach § 153 a einzustellen. Grund dafür sei die Arbeitsüberlastung der Gerichte gewesen. Die Union protestierte damals heftig gegen diesen Erlass. Die Grünen im Landtag haben der Landesregierung zum „Fall Bouffier“ zunächst einmal einen dringlichen Berichtantrag mit sechs Fragekomplexen vorgelegt. Unter anderem soll die Landesregierung um Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erklären, ob es tatsächlich Versuche gab, die Staatsanwaltschaft in Gießen bei ihrer Entscheidung über das Ermittlungsverfahren gegen den Staatsminister zu beeinflussen. Gerüchten in Wiesbaden zufolge könnten dafür die Hessische Generalstaatsanwalt oder das Justizministerium in Frage kommen. Die Beantragung eines Untersuchungsausschusses behält sich die Opposition vor. Bökel forderte Ministerpräsident Koch auf, Bouffier zu entlassen, falls dieser nicht von sich aus zurücktrete: „Unrecht bleibt Unrecht. Das muss insbesondere für einen Minister gelten, der in der Vergangenheit hohe moralische Maßstäbe an Inhaber öffentlicher Ämter an gelegt hat und angekündigte, jeden kleinsten Regelverstoß unnachgiebig zu verfolgen.“ Klaus-Peter Klingelschmitt

In Wiesbaden kursiert ein Verdacht: Hat das Justizministerium das Verfahren gegen den Innenminister beeinflusst?