Grande Dame des Feminismus

Ist Simone de Beauvoir eine vergessene Klassikerin?  ■ Von Gisela Sonnenburg

Mit einer Gegenattacke der Männer muß in einer männerbeherrschten Welt grundsätzlich gerechnet werden.

Simone de Beauvoir

Zu Zeiten der Inquisition hätte man sie als Hexe verbrannt. Als 1949 Le Deuxi-ème Sexe – mittlerweile längst als „Bibel des Feminismus“ anerkannt – erschien, war das Buch ein Skandal. Seine Verfasserin, die französische Moralphilosophin Simone de Beauvoir, wurde von allen Seiten geifernd angefeindet.

„Sie haben den französischen Mann lächerlich gemacht!“, schnaubte der Dramatiker Albert Camus wütend, der Vatikan setzte Das zweite Geschlecht auf den Index, und noch in aktuellen Lexika ist nachzulesen, de Beauvoirs „freimütige Darstellung sexueller Probleme“ habe schockiert. Nicht etwa ihre vehementen Forderungen nach gleichen Rechten für die Frauen, die der tieferliegende Grund für die um sie tobenden Verbalgefechte waren.

Später dann, in den 70ern und 80ern, wurde de Beauvoir vorgeworfen, einen vorgestrigen Feminismus zu vertreten. Was sie gelassen konterte, konnte sie doch sicher sein, daß ohne ihr zweites Geschlecht die Frauenbewegung kaum ein Fundament gehabt hätte. Dennoch ist es sicher kein Zufall, daß ihre Bücher bei einem deutschen Großverlag nur in Einzelbänden zu haben sind, während weit weniger bedeutende, dafür aber männliche Denker mit Gesamt- und Werkausgaben präsent sind.

Als „philosophisch eigentlich sehr viel versierter als Sartre“ bezeichnet sogar Ursula Locke-Groß, einst Lektorin der Beauvoir-Bücher bei Rowohlt, ihren Schützling. Simone de Beauvoir in Schutz nehmen – das muß man heute wieder. Und sie wieder genau betrachten, wenn auch mit jenem Wissen, das man nur aus zeitlicher Distanz gewinnt. Gelegenheit dazu bietet die von Locke-Groß entworfene Hommage à Simone de Beauvoir, die im Rahmen der Hammoniale heute abend, heute nacht auf Kampnagel läuft.

In vier aufeinanderfolgenden Lesungen mit prominenten Stimmen gibt der Marathon-für-Simone eine dramatische Gesamtdarstellung ihrer Persönlichkeit in vier Akten ab, zeigt neue Aspekte im Werk und Leben der Frauenrechtlerin. Denn nach wie vor stellt sich die Frage: Wer war Simone de Beauvoir wirklich? Und es stellt sich auch die Frage: Welchen Stellenwert kann sie heute einnehmen? Wurde sie nicht längst aufs Abstellgleis weiblicher Klassiker geschoben?

1908 geboren, gehört sie zur ersten Generation von Frauen, denen eine annähernd gleiche akademische Ausbildung zuteil wurde wie den Männern. Als neunte Studentin der philosophischen Fakultät der Sorbonne überhaupt schloß sie ihr Studium ab; als zweitbeste ihres Jahrgangs. Bester war Jean-Paul Sartre, der die Klasse zwar wiederholte, aber bereits zum festen Umkreis von Simone zählte. Es blieb bei dieser Reihenfolge: Sartre als später führender französischer Philosoph kam an erster Stelle, seine Gefährtin und Standardfeministin de Beauvoir bestenfalls an seiner Seite.

Ereilte also ausgerechnet die Grande Dame des Feminismus ein typisches Frauenschicksal? Ja. Und dennoch war die lebenslange Partnerschaft zu Sartre für die Intellektuelle und „unerhörte Frau“ Simone eine Garantie, sich weiterhin durchzusetzen, gehört und ernstgenommen zu werden. Um sich andererseits mit dem eigenen Werk zu emanzipieren, abzurücken von einer Tradition, die – gerade im Bereich der Philosophie – jahrtausendelang ausschließlich von Männerhirnen für Männerhirne gemacht war. „Der Pakt“ heißt daher der erste Akt heute abend, der die Beziehung Simones zu Sartre ins Auge faßt.

Daß sie auch litt in der Quasi-Ehe mit dem Schürzenjäger Sartre, daß sie selbst bisexuell liebte, ihre erotischen Beziehungen zu Frauen aber leugnete und Zugeständnisse an die Gesellschaft machte, indem sie mit Lügen lebte, daß sie ihre größte Liebe dem ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag mit Sartre opferte, daß sie Attitüden an den Tag legte, die sie in den Ruf einer snobistischen Elitären brachten, wissen wir so genau nicht etwa aus ihren Memoiren einer Tochter aus gutem Hause, die bereits '58 erschienen, sondern aus anderen Quellen: ihren Tagebüchern, ihren Romanen, ihren Briefen. Und von ZeitzeugInnen, deren eine selbst zu einer – teils umstrittenen – Heroine der Frauenrechte wurde: Alice Schwarzer.

Deren 83 erstmals erschienenes, heuer neuaufgelegtes Buch Simone de Beauvoir. Rebellin und Wegbereiterin (Kiepenheuer & Witsch, 132 S., 16,90 Mark) enthält Interviews mit „Castor“, wie sich Simone von Intimfreunden nennen ließ, die ebenso lesenswert sind wie das Werk der Literarphilosophin selbst. Deutlich wird bei beiden Lektüren, daß es sich bei der de Beauvoir um eine historische Gestalt handelt. Historisch sind allerdings auch die Diffamierungen, die man der „Ikone der Frauenbewegung“ – so der Titel des zweiten Akts auf Kampnagel – immer wieder zumutete.

Dabei wirken manche der Thesen de Beauvoirs, die vor fünfzig Jahren das Patriarchat bis aufs Blut reizten, heute schon fast nicht mehr scharf genug. Vor allem der noch junge Wissenspool der Gender Theorie läßt die Frauenfrage in ganz neuem Licht erscheinen – auch wenn er ohne die Vorarbeit des anderen Geschlechts kaum denkbar wäre. Es ist eben unmöglich, die Rechte der Frau zu realisieren, ohne zunächst das Bild, das die Gesellschaft noch immer auf allen Ebenen von ihr züchtet, zu revidieren.

Wieviel sich für Frauen seit '49 tatsächlich verändert oder verbessert hat, ist strittig. Fakt ist, daß selbst Frauen anderen Frauen noch immer weniger Redezeit zugestehen als Männern, sie automatisch und oft unbewußt für weniger wichtig, weniger vernünftig, weniger verantwortungsbewußt halten – und sich selbst so nolens volens einem absurden Frauenbild unterwerfen.

„Wenn der Mann die Frau als willenlos, ungeduldig, listig, einfältig, fühllos, lüstern, wild, demütig bezeichnet, läßt er seine Vorstellung von sämtlichen Weibchen der Tierwelt in sie eingehen“, schreibt Simone im anderen Geschlecht. Doch es ist wohl weit schlimmer: Der Mann will die Frau so, denn nur so kann er sie optimal und auch noch moralisch legitimiert unterdrücken. Intelligenz, Eigenständigkeit, Selbsterfahrung erlaubt er ihr nur in dem Maße, in dem es ihm selber nützt. Eine mehr als er selbst verdienende Partnerin oder eine Chefin lehnt der bundesdeutsche Durchschnittsmann laut Umfragen strikt ab.

„Solange es als Hauptaufgabe der Frau gilt, Kinder zu bekommen, wird sie sich aber kaum um Politik oder Technologie kümmern, und sie wird den Männern nicht ihre Überlegenheit streitig machen. Eine erneute Verklärung von ,Mutterschaft' und ,Weiblichkeit' ist der Versuch, die Frauen auf das Niveau von vorher zurückzudrängen“, ahnte de Beauvoir. Bis heute sind in Deutschland gerade mal um die zwei Prozent der Professorenschaft an Universitäten weiblich. Und eine Frau als Kanzler müßte als Revolution gelten.

Um das politische Engagement der Beauvoir kümmert sich heute abend der dritte Akt; „Schreiben und Handeln“ war für de Beauvoir und Sartre eine Einheit. Sie gründeten eine eigene Widerstandsbewegung innerhalb der Résistance, engagierten sich gegen den Algerienkrieg, begleiteten die „Rote Hilfe“, und Simone gehörte zu den Pionierinnen der Bekenntnis-Campagne zum Schwangerschaftsabbruch.

Daß Simone de Beauvoir eine feministische Identität entwarf, die von Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit nicht nur träumte, sondern diese auch erkämpfte, davon berichtet die Hommage ausgiebig. Deren vierter und Schlußakt zeigt, daß de Beauvoir auch ihre „transatlantische Liebe“ zu dem amerikanischen Schriftsteller Nelson Algren diesem Ideal unterordnete. Eine Auseinandersetzung ist diese politische Kämpferin allemal auch heute noch wert.

Hommage à Simone de Beauvoir: „Der Himmel gehört dem, der fliegen kann“. Heute, ab 18 Uhr, im Rahmen der Hammoniale auf Kampnagel, Jarrestraße 20. Es lesen: Barbara Auer, Christoph Bantzer, Marlen Diekhoff, Matthias Fuchs, Elke Heidenreich, Donata Höffer, Grischa Huber, Hans Kremer, Dietmar Mues, Barbara Nüsse, Ilse Ritter, Hildegard Schmahl, Isabella Vértes.

18 Uhr: Der Pakt. Einführung: Barbara Nüsse; 20 Uhr: Ikone der Frauenbewegung. Einführung: Alice Schwarzer; 22 Uhr: Schreiben und Handeln. Einführung: Isabella Vértes; 24 Uhr: Eine transatlantische Liebe. Einführung: Elke Heidenreich.

Festivalbüro: Tel.: 271 33 16;

Karten- und Infobüro: Tel.: 27 09 49 49