Die Kloake einer großen Utopie

Wie der neue Mensch im alten Gift erstickt: Eine Fotoausstellung von Gerd Ludwig in der Galerie Musikschule über die alltäglichen Ökokatastrophen in der Ex-Sowjetunion, die oft wie Idyllen wirken   ■  Von Stefan Schmitt

Ein dunkler Rußpilz steigt in den Himmel. Ein Bild wie aus dem Golfkrieg, doch es stammt aus Aserbaidschan, einem der vielen Bruchstücke der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Ein Schäfer läßt seine Tiere vor diesem Hintergrund weiden, die brennende Ölquelle beachtet er gar nicht, Normalität Ökokatasprohe.

Über die ehemalige UdSSR sollte der Fotograf Gerd Ludwig eine Reportage für das amerikanische Magazin National Geographic machen. In fünf Monaten lichtete der 52jährige Hesse, der in Los Angeles wohnt, Szenen wie jene in Aserbaidschan ab. Fünfzig Bilder, die Ludwig mitbrachte, sind in der „Galerie in der Musikschule/ Kunststiftung Poll“ zu sehen. Der Name der Ausstellung ist noch beschönigend: „Soviet Pollution“. Pollution – Verschmutzung im Extrem hat der Fotograf dokumentiert, Raubbau an Umwelt und Mensch.

Ludwig zeigt Menschen und Orte, die nahezu surreal erscheinen: eine beschauliche Eisangelpartie vor dem größten Stahlwerk der Welt; ernste Moskauer Kinder mit Schleifen in den Haaren und einer angeborenen Verkrüppelung des rechten Armes, die man auf Umweltgifte zurückführt. Dann wieder sieht man Milizionäre, die verlassene Dörfer um Tschernobyl nach Plünderern absuchen, um den Diebstahl von hochgradig verstrahlten Alltagsgegenständen zu verhindern – zu gefährlich wäre es, würden sie in Gebrauch gnommen. Doch die chemische und nukleare Verschmutzung drängt sich gnadenlos in jeden Winkel des nachsowjetischen Alltags.

„Was für eine absurde Idee, die Fotos verkaufen zu wollen. Als Flugblätter würden sie sich besser machen“, hat jemand ins Gästebuch geschrieben. Der Verkauf der 900 bis 1.500 Mark teuren Abzüge läuft auch nicht so gut, keine Sujets zur Wohnzimmerdekoration anscheinend. Jedes Motiv ist eine Facette von Menschen- und Umweltverachtung.

Gerd Ludwig dokumentiert handwerklich sauber das Leben mit der Katastrophe, Siechtum und Tod inklusive. Der Grat zum Voyeurismus ist schmal. Doch zum Schrecken des Sehens fügt Ludwig noch die Gewißheit hinzu, daß die Bilder nur exemplarisch für ein verseuchtes Land stehen: Ungewöhnlich lange Bildunterschriften erzählen ausführlich die Geschichte zum Bild.

Tatsächlich sind unter Ludwigs Bildern bizarre Schönheiten. Wie das Luftbild des „Atomsees“ nahe dem Nuklearwaffentestgelände Semipalatinsk in Kasachstan: Im kreisrunden Bombenkrater einer Atombombenexplosion schimmert leicht gekräuseltes Wasser wie flüssiges Blei in der Sonne. Totes Wasser, wüstes Land. Das Luftbild des um die Hälfte geschrumpften Aralsees mutet an wie ein Blick auf amerikanische Salzseen. Ödnis oder eher Weite? Bilder, die auch in einem populär-religiösen Beschaulichkeitskalender auftauchen könnten, transportierten sie nicht die omnipräsente Botschaft: Achtung, nicht genießen, weil tödlich.

Mitunter nehmen die katastrophenartigen Gebiete selbst den Schein schöner Landschaften an. In Baku, Aserbaidschan, leuchtet ein gelb-schwarzer Giftsee aus Ölrückständen und Chemikalien unter einem strahlend blauen Himmel, in den sich alte Masten und Bohrtürme recken. Im Gedächtnis bleiben allerdings die Kinder, die am Zufluß so einer Kloake mit dem Schrott der sowjetischen Treibstoffproduktion spielen.

„Soviet Pollution“. Noch bis 24. April in der Galerie in der Musikschule/Kunststiftung Poll, Gipsstr. 3, Di – Fr 15 – 18 Uhr, Sa 12 – 18 Uhr