Die Außenwelt als Innenwelt

William Gaddis' letztes Werk ist ein Hörspiel. „Torschlußpanik“ erlebt heute im Deutschlandfunk seine Ursendung  ■ Von Gaby Hartel

Vermutlich hat es William Gaddis amüsiert, seine Kenner ein bißchen zu erschrecken. Groß war die Erwartung, als Dramaturgin Elisabeth Panknin vor gut zwei Jahren bekanntgab, der Autor mit dem Label „Stimmenimitator“ komme endlich medial nach Hause: zum Hörspiel, einer Kunstform, die dem polylogisch Schreibenden von seiten der Kritik schon immer nahegelegt worden war. Immerhin verfeinerte Gaddis seit 1955 konsequent den von Virginia Woolf mit „The Waves“ (1931) geprägten Stil der chorischen Prosa. In vier monolithischen Romanblöcken vermittelte er erzählerische Substanz ohne „erzählte“ Handlung und ohne ordnenden Erzähler. Allein durch abgelauschte Umgangssprache und Fachjargons, die dann – präzise komponiert – das Bewußtsein des Lesers in einen Orchestersaal verwandeln. Kurzum: Gaddis schien immer schon ein idealer Hörspielautor zu sein.

Doch obwohl er das Radio mit seinen medialen Eigenheiten bestens kannte (und indirekt auch kritisierte), ist seine letzte Arbeit, „Torschlußpanik“, ein scheinbar undramatischer Text. Statt die Erwartung seiner Fangemeinde einzulösen, nach den gedruckten Polylogen nun Vielstimmigkeit in Echtzeit zu liefern, baute Gaddis einen monotonalen Text: einen angelsächsischen Essay, gespeist aus dem Kanon der dort vermittelten Geisteswissenschaft und Selbstzitaten. Als hätte der Autor auf Nummer Sicher gehen wollen, auch wirklich jede Möglichkeit von stimmlicher Kontaktaufnahme mit der Außenwelt zu unterbinden, fesselt Gaddis seine einzige Figur ans Krankenbett, in einem Aufwachraum, gleich neben dem OP. Da liegt der durchaus komische Lazarus, den Körper übersät mit kleinen Wunden, im Dämmerzustand der weichenden Narkose und versucht zu denken. Er ist „von Kopf bis Fuß auf Abriß eingestellt“.

Nach der ersten Überraschung entwickelt sich das Hörspiel dann doch nicht in Richtung Radiovortrag, sondern wird zu einem interessanten Experiment. Indem Gaddis die eigene Phantasie und seine Figur an der Bewegung hindert, manövriert er sich in eine Ecke, um von dort aus zu belauschen und zu registrieren, was passiert. Derart gehandikapt, tun Autor und Figur das dramaturgisch Schönste: Sie spalten sich in Ich und „Ich“ und halten einen inneren Dialog. Als Doppelgänger reden sie sich in die bei Gaddis bekannte Sprachzentrifuge. Schleudern sich in dessen Lebensthemen (die Fälschung der Welt, den Kollaps der Religion, der Authentizität und überhaupt der Werte), in immer wiederkehrende Gedanken, nie gelöste ästhetische und philosophische Probleme.

Noch einmal schießt der Skeptiker und Idealist gegen die materialistische Gesellschaft. Aber seine Kräfte schwinden: „Ich fühle mich, als würde ich Stück für Stück auseinandergenommen, und nicht nur das, alles andere auch!“ Doch tapfer tasten sich die inneren Stimmen an die Aufgabenstellung heran. Noch einmal das Unmögliche versuchen: Ordnung schaffen! Die Bildungsfetzen, die Gaddis uns dabei um die Ohren schleudert, verlieren sich nie in trockener Pedanterie. Sie sind der Versuch eines Büchermenschen, das Leben zu durchschauen. „Shall I at least set my lands in order?“ lautet die analoge Frage in T.S. Eliots Gedichtzyklus „The Waste Land“.

Natürlich kann so ein Erkenntnisprojekt nur scheitern – was in diesem Text nicht ohne absurde Komik verhandelt wird. Beckett, Swift und Eliot durchziehen dieses dichte Hörspiel als ungenannte Geister, und Thomas Bernhard taucht explizit auf. Er ist das Alter ego, mit dem der „Bauchredner“ Gedanken und sogar die Medikamente teilt. Und wieder kämpft der Künstler mit dem Mythos Originalität: Wer hat von wem abgeschrieben?

Im Verlauf des Textes läuft das geschulte Denken erwartungsgemäß aus dem Ruder. Der Berg mit Notizen stürzt vom Bett, die Katastrophe ist da. Körperlich wie geistig zerfleddert, schwebt „Lazarus“ über dem papiernen Scherbenhaufen. Ganz fleischgewordenes Bild aus Eliots „Waste Land“: „These fragments I have shored against my ruins.“

Daß der in seinen Werken komplett abwesende Autor in seinem einzigen Hörspiel fast greifbar physisch vor uns auftaucht, verwirrt zunächst ein bißchen. Doch liegt ein Teil der Irritation wohl in der Umsetzung. Regisseur und Komponist Klaus Buhlert – bekannt als Schöpfer assoziativ-lyrischer Tonräume – hält sich zwar streng an Textrhythmus und Motivkarussell, läßt allerdings den Sterbenden (Ignatz Kirchner) seine Szenenfetzen sehr „gegenständlich“, expressiv spielen. Da werden Worte zerkaut, und in Kirchners näselnder Version von Ironie schabt das Hörspiel streckenweise haarscharf an einer Künstlerkarikatur vorbei.

Unglücklich auch, daß die Regie das Doppellgänger-Motiv mit einem Wiederholungs-Echo illustriert. So werden zentrale Gedanken unnötig zu Reizworten, und der schwarze Humor des Angelsachsen erhält eine merkwürdige (deutsche?) Erdenschwere. In solchen Passagen wird das hauchfeine Gleichgewicht von düsterer Kulturkritik und Ironie gefährdet. Doch das sind kosmetische Mängel. Torschlußpanik ist ein beeindruckendes letztes Wort von William Gaddis, das seine gewaltige Lebensarbeit als intime Innenschau spiegelt.

Ursendung: Samstag, 13.3., um 20.05 Uhr, Deutschlandfunk

Weitere Termine: BR2, 19.3., 22.05 Uhr