Folklore ist nicht funky

■ Paris, du hast es besser: Viel „Come together“ war nicht in der Berliner „Werkstatt der Kulturen“, als am Wochenende zum dritten Mal der Musikpreis „Musica Vitale“ vergeben wurde

Berlin ist nicht Paris. Während eingewanderte Musikstile wie Rai, Merengue oder Mbalax dort ohne größere Formalitäten in den Mainstream eingebürgert wurden, fristen sie in Deutschland ihr Dasein in der Ethno-Nische, und da gilt: Folklore ist nicht funky. Das der Migration geschuldete Potential mag in Frankreich größer sein, es erfährt aber auch mehr Förderung von Plattenindustrie und Staat.

Mickrig nimmt sich im Vergleich zu französischen Verhältnissen eine Institution wie der Berliner „Musikpreis der Kulturen“ aus, der am vergangenen Wochenende zum dritten Mal vergeben wurde. Mit viertausend Mark dotiert, ist er eigentlich nichts, womit sich wirklich große Sprünge machen ließen. Allein, der Preis, der Musiker und Solisten fördern will, „deren Musik einen deutlichen Bezug zur eigenen Tradition aufweist oder die sich mit der Musik einer anderen Kulturregion auseinandersetzt“, wie es hölzern-bürokratisch in der Zielsetzung heißt, ist bundesweit der einzige seiner Art. Bezeichnenderweise wurde er einst von der Berliner Ausländerbeauftragten ins Leben gerufen und nicht vom Kultursenator, der inzwischen die Finanzierung übernimmt. In Sachen Kulturförderung sind Migranten eine Marginalie im Etat und was so landläufig unter Weltmusik firmiert, ein Minderheitenprogramm.

Selbst dafür war der Andrang zu den Wettbewerbskonzerten allerdings erstaunlich matt: An drei Abenden spielten über zwei Dutzend Bands, die, wenn man denn mag, getrost als Crème der Berliner Weltmusikszene bezeichnet werden dürfen, vor kaum mehr als jeweils hundert Zuhörern. Unter dem riesigen Emblem des Musica- Vitale-Wettbewerbs, einer abstrakten Komposition im Stil brasilianischer Pop-art der Siebziger, wechselten sich afrikanische Tanzkapellen in wallenden Gewändern, brasilianische Samba-Bands in blütenweißen Hosen, türkische Flamenco-Formationen und nicht zuletzt die unvermeidlichen Klezmer-Gruppen im Viertelstundentakt auf der Bühne ab.

Der Aufwand der Musiker, die in großer Besetzung und oft in auffälliger Bühnengarderobe antanzten, stand dabei in merkwürdigem Kontrast zum spärlichen Bild, das sich auf den bestuhlten Rängen darbot. So spielten die meisten Bands ihr Set, selten mehr als drei bis vier Stücke, fast ausschließlich vor Freunden, Familienmitgliedern oder besonders treuen Fans und trollten sich gleich nach ihrem Auftritt vom Gelände, neuen Abenteuern entgegen.

Viel „Come together“ war nicht in der Werkstatt der Kulturen, die etwas versteckt an der Bezirksgrenze zwischen Kreuzberg und Neukölln in einer umfunktionierten Stadtvilla logiert. Parterre lernen angehende Kellner ihr Handwerk, und rosa Tischdecken erinnern an einen Bahnhofswartesaal. Die zweite Etage, Austragungsort des Wettbewerbs, verströmt dagegen den sterilen Charme einer Schulaula – nicht gerade ein Umfeld, das dem Sexappeal der Veranstaltung förderlich ist und sie vom muffigen Ruch eines Folklore-Workshops befreien hilft.

Auf die Qualität des Dargebotenen jedenfalls ließ sich das fehlende Publikumsinteresse kaum zurückführen: Viele der Bands haben bereits eigene CDs veröffentlicht und besitzen tatsächlich einen ausgezeichneten Ruf, wie etwa der ägyptische Bauchtanz-Zeremonienmeister Sayed Balaha oder Zotos Compania, kongeniale Interpreten des griechischen Mittelmeerblues. Deren Wortführern war noch der Jet-lag anzumerken vom Rückflug aus Kanada, wo sie Mikis Theodorakis auf seiner Tournee begleitet hatten.

Die fünfköpfige Jury, bestehend aus Musikethnologen, Journalisten und Musikern, allerdings entschied anders: Als Preisträger erkor sie die osteuropäische Multikulti-Truppe Ahava Raba, die Blaskapelle IG Blech und The Transsylvanians, eine rappende Folkpunk-Kapelle auf ungarische Art, dazu als Nachwuchssolisten den Saz-Spieler Taner Akyol. Cherif Khaznadar, Direktor des Maison de Culture du Monde in Paris, widmete Mariachi dos Mundos, Interpreten traditioneller mexikanischer Musik, einen Sonderpreis samt Einladung nach Frankreich. Die Transsylvanier konnten ihren Preis nicht persönlich in Empfang nehmen, weil sie bereits wieder anderweitig auf der Bühne standen. Wenigstens im richtigen Leben mischt sich die Musik unter die Leute. Daniel Bax

Konzert der Preisträger am Freitag, den 18.12., ab 20 Uhr in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32, Neukölln