Süßlich duftende Leckereien aus dem Raubtierkäfig

■ Die Sensi Seed Bank ist der weltgrößte Hanfsamenproduzent und macht Millionenumsätze. Doch die verschärfte niederländische Drogenpolitik bringt den Familienbetrieb in Bedrängnis

Rechteckig und eingeschossig, weiß getüncht und fensterlos ist der Bau. Er wirkt so gesichtslos, wie Industriehallen auf der grünen Wiese im Speckgürtel einer Stadt eben aussehen. Hier könnten Möbel hergestellt werden oder eine Software-Firma ihren Sitz haben. Doch sobald man die Eingangstür passiert hat, riecht man, daß hier weder Konsumgüter am Band gefertigt noch PC-Dienstleistungen angeboten werden: So wie hier stinkt es normalerweise nur im Raubtierkäfig.

Über der herben Mischung aus Chemodünger und schwüler Luft liegt der Duft von Marihuana; nicht einige, sondern Abertausende Graspflanzen schwängern die Luft mit dem süßlichem Aroma von Cannabis. Man hat das Gefühl, vom bloßen Einatmen high zu werden. An der Decke hängen mächtige Rohre, die feuchtwarme Luft in die Zuchtkammern speisen. Schiebt man eine der eisernen Türen auf, kommt einem ein kräftiger Luftzug entgegen. Denn in den grellerleuchteten Räumen herrscht Überdruck, damit kein Staub eindringt und das Wachstum der Pflanzen stört.

Nimwegen, September 1998. Zu Besuch bei der Sensi Seed Bank. Anfang der 80er Jahre hatte Ben Dronkers aus seiner Leidenschaft als Hobbygärtner und Marihuana- Liebhaber einen Beruf gemacht, den es bislang in Europa nicht gab: Er wurde Hanfsamenzüchter. Heute ist die Sensi Seed Bank der größte Samenproduzent der Welt und macht Millionenumsätze. Inzwischen hat Bens 30jähriger Sohn Alan die Leitung der Firma von seinem Vater übernommen. Als Beleg für die Qualität der Züchtungen zählt er die Preise auf, die die Sensi Seed Bank beim „Cannabis Cup“ eingeheimst hat: „Seit das amerikanischer Kiffermagazin High Times 1988 auf die Idee kam, im Amsterdamer Exil jährlich die beste Marihuana-Sorte zu küren, haben wir schon fünfmal gewonnen“, so Dronkers junior.

In dem schmucklosen Flachbau bei Nimwegen und dem benachbarten Landsitz der Familie Dronkers, auch Hemp Castle genannt, ist der ganze Schatz des mittelständischen Unternehmens untergebracht: die Mutterpflanzen der 27 verschiedenen Hanfsamensorten, die Sensi derzeit im Angebot hat. „Einige der Mutterpflanzen sind über 20 Jahre alt“, sagt Alan Dronkers.

1994 und 1995 hatte Sensi im Anschluß an den Cannabis Cup noch dazu eingeladen, den Firmensitz zu besichtigen. Seit die holländische Regierung 1996 auf Druck der Nachbarstaaten die Drogengesetzte rigoros verschärfte, verzichtet Sensi freiwillig auf die „Cannabis Castle Tour“. Es kam aber noch schlimmer: In Deutschland wurde Anfang dieses Jahres der Verkauf von Hanfsamen verboten – der Umsatz von Sensi verringerte sich um 50 Prozent.

Die Atmosphäre im „liberalen“ Holland sei in den letzten fünf Jahren „sehr repressiv geworden“, sagt Alan Dronkers. Die Auflagen seien längst so kompliziert, daß die Familie Dronkers die vier Coffeeshops, die Vater Ben betreibt, noch in diesem Jahr schließen will. „Wir träumen von der Zeit, als Toleranz in Holland einzig und allein bedeutete, daß der Staat gar nichts tat. Jetzt betreibt jede Gemeinde ihre eigene Drogenpolitik.“ Was in Rotterdam Recht sei, gelte in Groningen noch lange nicht. „Eine vernünftige Geschäftspolitik“ sei unter diesen Umständen nicht möglich. „Wir haben eine offene Philosophie, mein Vater bezahlt Steuern und beschäftigt nur offiziell angemeldete Mitarbeiter, im Unterschied zu anderen Coffeeshops!“ Vor allem an der Regierungskoalition von Sozialdemokraten und Liberalen läßt Alan Dronkers kein gutes Haar. „Die wissen gar nicht, wieviel Menschen sie das Leben schwermachen.“ Über die konzeptlose Drogenpolitik der „lila“ Koalition ereifert sich Dronkers derart, daß er sogar vergißt, seinen Mittagsjoint zu Ende zu bauen. Ole Schulz