Wenn ein Staat untergeht

■ Neue exklusive Nachrichten aus Umtata von unserem Südafrikakorrespondenten. Erster Teil: Die zuweilen skurrilen Hinterlassenschaften der einst selbständigen Transkei

Achtzehn Jahre lang war die Transkei ein eigener Staat. Seit 1994 wächst wieder zusammen, was zusammengehört: Südafrika und seine Homelands. Achtzehn Jahre war Umtata die Hauptstadt der Transkei. Zwei halbverlassene Regierungshochhäuser zeugen noch davon. In der holzgetäfelten ehemaligen Präsidentensuite residiert heute die Untersuchungskommission, die klären soll, wo das Staatsvermögen geblieben ist, als der Staat verschwand. Eine „Nationalbibliothek“ verwahrt die Parlamentsprotokolle und was sonst so an offiziellem Papier produziert wurde. Das Buch des langjährigen Transkei-Diktators Kaizer Matanzima mit dem vielsagenden Titel „Unabhängigkeit auf meine Art“ ist zwar im Katalog mit mehreren Exemplaren verzeichnet, im Regal aber leider verschwunden.

Gleich gegenüber lädt noch heute das „Nationalmuseum der Transkei“ zum kostenlosen Blick in die Geschichte des untergegangenen Staates. Drei Vitrinen mit Vogeleiern sind die Hauptattraktion. Da liegt das kindskopfgroße milchige Straußenei neben dem fingerhutkleinen braun-schwarz schattierten Ei eines Vogels mit dem geheimnisvollen Namen „Hufschmied-Pflüger“. Ausgestopfte Tiere und eingekleidete Puppen geben Zeugnis vom Leben auf dem Land, auf drei Stelltafeln hängt eine Zeitschriften-Reportage über die Geschichte des Anti-Apartheid-Kampfes, auf der langen Liste der Gefangenen von Robben Island kann, wer will, das heutige Kabinett in Pretoria zusammensuchen. Das ist alles schön verstaubt und verblichen. Wirklich vom Untergang handelt aber erst der zweite Raum des kleinen Museums.

Eine rote Schwimmweste hängt da an der Wand, daneben ein Stück Glasfiber, zwei Holzbänke, ein Motorgetriebe. Dies alles stammt von der „Oceanos“, dem griechischen Kreuzfahrtschiff, das 1991 vor der Transkei gesunken ist. Eigentlich nichts so Besonderes, Dutzende Schiffswracks liegen vor der wilden Küste. So hat zum Beispiel auch die vom Salzwasser angefressene Couch aus der Kapitänskajüte der 1896 untergegangenen „Circassia“ irgendwie ihren Weg ins Nationalmuseum gefunden. Gruselnd darf man sich draufsetzen und an die Seeleute denken, die es nicht mehr an Land geschafft haben.

Doch wirklich berühmt wurde die „Oceanos“. Und zwar, weil ihr Kapitän Yannis Avranas nicht als letzter, sondern als allererster das sinkende Schiff verlassen hat. Dummerweise ist er dann am Ufer direkt vor die Linse des herbeigeeilten Reporters der Lokalzeitung gelaufen. Dessen Foto vom peinlich auf der Flucht erwischten Kapitän ging damals um die Welt – und ziert bis heute die Wand des Nationalmuseums. Die 570 Passagiere der „Oceanos“ sind übrigens allesamt später ohne Zutun des Kapitäns von der Marine gerettet worden.

Irgendwann soll auch die anthropologische Sammlung der Universität vom „Nationalmuseum“ übernommen werden. Neben allerhand Kunstgewerbe wird das vor allem zwei Schätze des untergegangenen Staates endlich an das verdiente Licht der Öffentlichkeit bringen: Eine bunte Gemäldegalerie unvergänglich populärer Reggae-Musiker und zwei handgefertigte Büsten. Die stehen seit Jahren friedlich vereint unter dem Dach der Universität: links, leicht an der Glatze zu erkennen, FW de Klerk, letzter Apartheid-Präsident Südafrikas, rechts, rot eingefärbt, Chris Hani, der 1993 ermordete Führer der Kommunistischen Partei.

Offenbar sind es die skurrilen Dinge, die am ehesten den Untergang eines Staates überleben. Was wird einst vom Land Bremen bleiben? Grobeckers zinnerner Zechbecher von der Senatsbarkasse? Das HB auf Bremerhavens Autokennzeichen? Oder so wie bis heute in Umtata das gewaltige Schild vor einer verwilderten Wiese: „Hier baut die Republik der Transkei ein neues Nationalstadion.“

Dirk Asendorpf