Die zweifelhafte Macht des Oberingenieurs

■ Ein deutscher Siemens-Mitarbeiter steht in Brasilien vor Gericht. Er soll eine brasilianische Angestellte über lange Zeit sexuell belästigt und beschimpft und dann hinausgeworfen haben

Berlin (taz) – „Ich bin wie ein Hund entlassen worden. Er hat mir meinen Arbeitsplatz weggenommen, mein Leben aus den Fugen gebracht und hätte beinahe auch meine Ehe zerstört.“ Die brasilianische Fremdsprachensekretärin Bárbara Daniele da Silva ist wütend. Fast zwei Jahre war sie in der Nuklearfabrik von Siemens in Angra dos Reis bei Rio de Janeiro beschäftigt. Bis „er“, ihr Chef Dieter Henning Schäfer, Oberingenieur und Abteilungsbevollmächtigter, ihr am 9.Februar dieses Jahres kündigte. Das brachiale Ende eines Arbeitsverhältnisses, das Bárbara Daniele schon seit langem als unerträglich empfand.

Als Daniele 1996 unter Vertrag genommen wurde, empfand sie die Aufmerksamkeit ihres neuen Chefs zunächst als positiv. Der mehr als zwanzig Jahr ältere Schäfer sei ihr, so die 22jährige, wie eine Vaterfigur vorgekommen. Als sie merkte, daß diese Einschätzung falsch war, habe sie zunächst versucht, die Situation zu neutralisieren. So bat sie ihn, Trauzeuge bei ihrer Hochzeit zu sein. Schäfer lehnte brüsk ab.

Was folgte, war eine Mixtur aus Zuckerbrot und Peitsche: Mal Einladungen zum Essen oder zu einer Reise nach Deutschland. Dann wieder Hetze gegen Danieles Ehemann oder private „Ratschläge“, deren Nichtbefolgung berufliche Schikanen nach sich zog. Schäfer habe sie, so Daniele, zeitweise im Betrieb völlig abgeschottet. Als sie versuchte, sich bei dessen Vorgesetzten Edmund Harder zu beschweren, habe dieser es abgelehnt, mit ihr zu sprechen.

Ohne Rückhalt im Betrieb sah Daniele keinen anderen Ausweg, als die Situation zu ertragen. Bis Schäfer am 8.Februar, als Daniele für ein paar Tage krank geschrieben war, vor ihrer Wohnungstür auftauchte und sie lautstark beschimpfte. Ihr Ehemann zeichnete den Auftritt auf Band auf.

Die Kassette ist eines der Beweisstücke im Prozeß gegen Schäfer, der am Mittwoch vergangener Woche in Rio de Janeiro eröffnet wurde. Unterstützt von der schwarzen Frauenorganisation CRIOLA und dem Menschenrechtsbüro AZIZA, hat Bárbara Daniele auch gegen Siemens eine arbeitsrechtliche Klage erhoben.

Schäfer anzuklagen, ist gar nicht so einfach, denn gegen sexuelle Belästigung gibt es derzeit in Brasilien noch keine juristische Handhabe. Zwar liegen dem Kongreß zwei entsprechende Gesetzesvorlagen vor, einstweilen jedoch können solche Fälle nur als „Nötigung“ oder „Verleumdung“ verfolgt werden.

Laut Lúcia Xavier von CRIOLA bleibt die Mehrheit der schwarzen Frauen, die unter sexueller Belästigung leiden, noch stumm. „Oft glauben sie, etwas falsch gemacht zu haben, weil sie zu kurze Shorts getragen oder als Hausangestellte nachts die Schlafzimmertür nicht verriegelt haben.“

Wenn zu beruflichen Abhängigkeiten noch ein krasses kulturelles Machtgefälle kommt, verstärke sich dieses Ohnmachtsgefühl. „Diese ausländischen Firmen haben die Angewohnheit, intern ihre eigenen Gesetze zu installieren. Das gilt auch für die Siemens-Niederlassung in Angra dos Reis. Die leitenden Angestellten leben dort unter paradiesischen Verhältnissen und weitgehend abgeschottet von der Außenwelt.“

Wolfgang Breyer, Pressesprecher der Siemens-Nuklearfirma KWU, teilte der taz auf Anfrage mit, Edmund Harder bestreite, sich geweigert zu haben, mit Daniele zu sprechen. Sie sei entlassen worden, weil sie „dauernd gefehlt“ habe. Die Firmenvertreterin im Gleichstellungsausschuß der Siemens-Zentrale in München, Andrea Krämer, war über die Vorgänge in Brasilien nicht informiert worden. Das Unternehmen habe, so Krämer, keinen Einfluß auf die Personalpolitik der ausländischen Tochtergesellschaften.

Zur Eröffnung des Gerichtsverfahrens am vergangenen Mittwoch sind die Anwälte der Siemens- Nuklearfabrik Angra dos Reis nicht erschienen. Dafür waren fünf brasilianische Fernsehteams dabei. Und Bárbara Daniele, die mittlerweile in einer anderen Stadt lebt. Der Prozeß wird anfang Juli fortgesetzt. Bettina Bremme