Das Europa der Konzerne lebt

Industrielobbyisten verfassen viele der Richtlinien, die dann offizielle EU-Komitees und Kommissare beschließen  ■ Von Philipp Mimkes

Berlin (taz) – Weitreichende Beschlüsse werden in Geheimverhandlungen von kaum bekannten Komitees gefällt, Entscheidungsträger wie die EU-Kommissare müssen sich keinen Wahlen stellen, und die öffentliche Aufmerksamkeit ist gering: Das zentralisierte politische System der EU ist ein idealer Tummelplatz für Interessensvertreter jeder Couleur. So sind allein in Brüssel 10.000 Lobbyisten aktiv, mehr als 90 Prozent davon im Dienst der Industrie.

Obwohl in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, ist der 1983 gegründete European Round-table of Industrialists (ERT) die wohl einflußreichste Lobbygruppe in Europa. Ihr gehören 45 Vorstandsvorsitzende von europäischen Multis an, Deutschland wird durch die Konzerne Bayer, Veba, Bosch, Daimler Benz, Siemens, Bertelsmann und Krupp vertreten. Zu den Zielen des ERT gehören abgeschwächte Umwelt- und Sozialgesetze, Steuersenkungen, die EU-Osterweiterung sowie Deregulierungen und Privatisierungen in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Verkehr. Im Arbeitsrecht werden flexible Löhne und Arbeitszeiten sowie ein verminderter Kündigungsschutz angestrebt.

Der Schlüssel für den enormen Einfluß des ERT ist der privilegierte Zugang seiner Mitglieder zu EU-Politikern. Kaum ein europäisches Gesetz wird ohne ein vorheriges Gespräch mit den Industrievertretern verabschiedet, regelmäßig bilden sich gemeinsame Arbeitsgruppen zu speziellen Fragen wie Telekommunikation, Verkehrswegeplanung, Wettbewerbsfähigkeit oder Gentechnik. Gewerkschaften, VerbraucherInnen und Umweltverbände bleiben außen vor, eine Kontrolle durch Medien und Öffentlichkeit findet praktisch nicht statt.

Für die Ausarbeitung von Detailfragen gibt es zahlreiche weitere Lobbygruppen, die dem ERT nahestehen und die von fertig formulierten Vorschlägen für Gesetzestexte bis hin zu Einzelgesprächen mit Abgeordneten alle Möglichkeiten der Beeinflussung ausnutzen. Die wichtigste dieser befreundeten Gruppen ist die europäische Arbeitgeberorganisation Union of Industrial and Employers' Confederation of Europe (UNICE), die allein in 55 Arbeitsgruppen organisiert ist und in Spit- zenzeiten bis zu 1.000 MitarbeiterInnen mobilisieren kann. VertreterInnen des UNICE sind bei praktisch jeder Diskussion zu europarelevanten Themen vertreten, legen detaillierte Gesetzesentwürfe auf nationaler und europäischer Ebene vor (welche häufig Wort für Wort übernommen werden), organisieren Arbeitsessen zum informellen Austausch und bombardieren Abgeordnete und Presse mit Stellungnahmen.

Zu zentralen Themen gründet der ERT eigenständige Ableger für die Durchsetzung einzelner Ziele. So legt das European Centre for Infrastructure Studies (ECIS) regelmäßig detaillierte Pläne für neue Straßen, Schienen und Wasserwege vor. Die zentralen Verkehrsprogramme der EU, die unter anderem den Bau von 12.000 Kilometer Fernstraßen und neue Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge vorsehen, gehen direkt auf ECIS-Vorgaben zurück.

Das World Business Council for Sustainable Development, das sich als das „grüne Gewissen“ der Industrie bezeichnet, verlegt sich hingegen auf den Kampf gegen Energiesteuern – im Auftrag der Stromkonzerne sowie der Chemie- und Ölindustrie. Im Gentechnikbereich bündelt der Verband EuropaBio die Interessen von 500 europäischen Gentechnik- und Chemiefirmen, dominiert wird der Zusammenschluß von den deutschen Konzernen Bayer, BASF, Schering und Hoechst. Wie ein Mantra wiederholt EuropaBio die angebliche Chance, mit Gentechnik Millionen von Arbeitsplätzen zu schaffen; sein größter Erfolg war die Zustimmung des EU-Parlaments zur Patentierung von Gensequenzen vergangenen Sommer.

1995 gründete der Industriellen- Rundtisch ERT in Kooperation mit dem US Handelsministerium und der EU-Kommission den Transatlantic Business Dialogue (TABD). Ihm gehören auf europäischer Seite neben politischen Entscheidungsträgern elf Topmanager an, darunter die Vorstandsvorsitzenden von Bayer, Siemens, ABB und Bertelsmann. Der TABD ist durch seinen offiziellen Status als beratendes Organ der EU-Kommission zugleich Lobbygruppe und anerkannte EU-Organisation. Zentrales Ziel des TABD ist der freie Fluß von Produkten, Investitionen und Dienstleistungen jeder Art. Als wirtschaftsschädigend abgelehnt werden Umweltschutzauflagen, Arbeitsschutzbestimmungen und jeglicher Schutz lokaler Märkte.

Für die europäischen Mitglieder des TABD dienen die USA mit ihren minimalen Arbeits- und Sozialgesetzen als Vorbild. Und so beeilte sich die EU-Kommission nach dem letzten TABD-Treffen in Chicago zu versichern, daß „die Kommission ebenso wie die US Regierung weiterhin eng mit den Wirtschaftsvertretern kooperieren wird“. Ein weiteres Beispiel für den vorauseilenden Gehorsam der Politik gegenüber den mächtigen Wirtschaftsvertretern.

Zusätzliche Informationen: Coordination gegen BAYER-Gefahren, Postf. 150 418, 40081 Düsseldorf, Tel: 0211-333911, E-Mail: Co_gegen_Bayer@Nadeshda.gun.de