Britische Regierung entschädigt Nazi-Opfer

Zwei Millionen britische Pfund will Premierminister Tony Blair an Menschen zahlen, deren Vermögen im Zweiten Weltkrieg beschlagnahmt wurde. Doch die eigentliche Schadenssumme ist um ein Vielfaches höher  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – „Es gibt neue Hoffnung“, sagte Granville Janner, der Vorsitzende des Holocaust Educational Trust. Die britische Regierung hatte sich am Donnerstag bei den Nazi-Opfern entschuldigt, deren Vermögenswerte während des Zweiten Weltkrieges aufgrund der Gesetze gegen „Handel mit dem Feind“ beschlagnahmt und nie zurückgezahlt worden waren. Industrieministerin Margaret Beckett kündigte ein zügiges Verfahren an, um die Opfer zu entschädigen. Zwei Millionen britische Pfund werden zunächst dafür lockergemacht.

„Die Gerechtigkeit ist ihnen viel zu lange vorenthalten worden“, sagte Janner. Noch vorige Woche hatte Beckett lediglich einen kleinen Wohlfahrtstopf angeboten, um die Sache ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Jüdische Organisationen hatten das zurückgewiesen. Die Wende kam durch einen Bericht des Außenministeriums, der seit Monaten fertig in der Schublade lag, aber erst gestern veröffentlicht worden ist.

Darin heißt es, daß die britische Regierung sich nach dem Krieg vor allem um einheimische Unternehmen gekümmert hat, deren Besitztümer im Ausland vom Feind beschlagnahmt worden waren. Viele Juden in den von Nazis besetzten Ländern, die ihre Vermögen rechtzeitig in den vermeintlich „sicheren Hafen Großbritannien“ geschafft hatten, gingen nach dem Krieg dagegen leer aus. Auf die heutige Zeit umgerechnet, handelt es sich um rund 180 Millionen Mark. Wie das Geld verteilt werden soll, steht aber nicht in dem Bericht.

Einer der Autoren, R. R. Whitty, sagte: „Ich habe wirklich Mitleid mit Juden und anderen, die in den Konzentrationslagern gelitten haben, aber wie soll man unterscheiden zwischen dem Juden, der wegen seiner Rasse oder Religion verfolgt worden ist, und demjenigen, der wegen eines Verbrechens gegen die Gesetze seines Landes ins Konzentrationslager gesteckt worden ist?“ Außerdem, so fügte er hinzu, müsse man herausfinden, wer seine Gelder aus Angst vor Beschlagnahme nach Großbritannien transferiert hat und wer das lediglich als Investition getan hat.

Das Londoner Finanzministerium sieht ebenfalls Probleme auf die Regierung zukommen: Es könnte schwierig werden, zwischen „dem Flüchtling, der von den Nazis unterdrückt worden ist, und der Ratte, die das sinkende Schiff verlassen hat, zu unterscheiden“, sagte ein Sprecher. Eine ganze Reihe hochrangiger Nazis hatten sich in Großbritannien noch schnell ein Pölsterchen für später angelegt, als das Ende absehbar war.

Die Autoren des Berichts monieren, daß die britische Regierung recht willkürlich und unsensibel mit den Entschädigungsforderungen umgegangen sei. So wurden alle polnischen Besitztümer, die in Großbritannien beschlagnahmt worden waren, nach dem Krieg der Warschauer Regierung übergeben, die sie einbehielt. Dagegen wurden Österreicher, darunter auch ehemalige Nazis, individuell entschädigt. Demnächst soll eine Liste mit Nazi-Opfern veröffentlicht werden, die noch Forderungen haben könnten. Sie enthält 25.000 Namen. Angesichts des bevorstehenden Israel-Besuchs von Premier Tony Blair sei davon abzuraten, sie mit einem Wohlfahrtsfonds abzuspeisen, sagte ein Sprecher des Außenministeriums.