Rubine, Rolltreppen und Diktatur

Auf den Spuren der Österreicherin Inge Eberhard in Birma. Als Märchenprinzessin zog sie 1953 an der Seite ihres Mannes in die gemeinsame Residenz ein. Als Flüchtling vor der Diktatur der Generäle mußte sie einige Jahre später gehen  ■ Von Susanne Härpfer und Imke Rafael

USA, 50er Jahre. An der Universität von Denver, Colorado, lernt die Österreicherin Inge Eberhard den Birmesen Sao Kya Seng kennen. Sie studiert Sprachen, er Ingenieurwissenschaften. Es kommt, wie es manchmal kommt im Leben: Sie heiraten. Unversehens findet sich Inge Eberhard wieder als Prinzessin. Ihr Mann, stellt sich heraus, ist einer der mächtigsten Herrscher Birmas. 1953 zieht das Paar nach Rangun, der Hauptstadt Birmas.

Die Swegadon-Pagode, besetzt mit Diamanten, Rubinen und Saphiren, ist das zentrale Heiligtum der Stadt. Ihre edelsteinerne Pracht überwältigte Inge Eberhard. Heutige Besucher des Tempels ergötzen sich an einer prosaischeren Attraktion: eine Rolltreppe, die die Gläubigen bequem auf die erste Tempelebene bringt. Die Mönche müssen allerdings noch üben: Ständig verheddern sie sich mit ihren wallenden Roben in der Treppe. Für die Kinder der Stadt ist die Swedagon-Pagode zum Abenteuerspielplatz geworden. Stundenlang fahren sie mit der Rolltreppe auf und ab.

Die Stadt ist nicht gerade ein Ort der Ruhe. Busse, die Abgasschwaden hinter sich herziehen, knatternde Mopeds und rostige Pick-ups brausen beispielsweise die Strand Road hinunter. Sie ist benannt nach einem der besten Hotels Asiens, dem „Strand“. Hier gab vor 40 Jahren die fremdländische Braut ihren Hochzeitsempfang, umgeben von schwerer Seide, antikem Silber und aufmerksamen Angestellten: „Das weiße Kolonialgebäude ist ein Ruhepol inmitten des geschäftigen Treibens von orange gewandeten Mönchen, Rikschafahrern und Frauen mit großen Körben auf den Köpfen“, schreibt sie. Nach dem Empfang brach das Paar zur Hochzeitsreise auf – mit einer alten DC-3, die sonst als Frachtflugzeug diente, knatterten sie gen Norden, nach Lashio, zu Sao Kya Sengs Residenz.

Die ganze Stadt war auf den Beinen, alle 15.000 Einwohner jubelten der exotischen Prinzessin zu. Kapellen begleiteten das Paar zum Palast im britischen Landhausstil am Ende der Hauptstraße. Marmorstufen führten hinaus zum Portal aus Teakholz; dahinter befand sich die hohe Eingangshalle: „Ein dicker, chinesischer Seidenteppich bedeckte den Boden; das Sonnenlicht flutete durch die Spitzenvorhänge und spiegelte sie in zwei silbernen Schalen“, beschrieb Inge beeindruckt ihr neues Zuhause. Noch heute gilt der Palast von Hsipaw als eines der schönsten Exemplare der Shan-Architektur.

Einer der Bräuche, an die sich Inge Eberhard erst gewöhnen mußte, war der unerschütterliche Glaube an die Astrologie, der bis heute ungebrochen ist. Fast jeder Birmese richtet sich nach deren strengen Regeln: Wie ein Haus gebaut werden soll, wann ein Fest gefeiert wird – das entscheiden die Handleser. Ihr Einfluß reicht bis zu Politik und Wirtschaft. Der Diktator Ne Win, in Birma seit 1958 mit kurzen Unterbrechungen an der Macht, war besessen von Zahlenmagie, und seine Glückszahl war die neun. Kurzerhand erklärte er die Hälfte aller Geldscheine für ungültig und führte statt dessen 45- und 90-Kyat-Scheine ein. Viele Birmesen verloren von heute auf morgen ihr gesamtes Vermögen. Unter dem Druck der Bevölkerung mußte er 1988 offiziell abdanken, er zieht aber bis heute im Hintergrund die Fäden.

Ne Win war es auch, der zur Nemesis des Ehepaars Seng wurde. Zur Mitte der 50er Jahre stand das politische Schicksal des Landes auf der Kippe. Sao Kya Seng war Mitglied des Parlaments in Rangun; er stand für ein demokratisches, föderales Birma. Inge schloß sich ihm an. Sie setzte sich ein für ein kostenloses Gesundheitswesen, Schulbildung für alle und eine umfassende Landreform. Damit wurde der machthungrige Ne Win zu ihrem Gegenspieler. 1958 putschte er sich an die Macht und errichtete eine Militärdiktatur, die bis heute das Land unterdrückt. Sao kam ins Gefängnis; bis heute gibt es kein Lebenszeichen von ihm. Wahrscheinlich wurde er, wie viele andere Demokraten, sofort umgebracht. Inge blieb fast ein Jahr allein im Palast – unter Hausarrest. Soldaten Ne Wins bewachten das Anwesen rund um die Uhr. Ihre verzweifelten Versuche, etwas über das Schicksal ihres Mannes herauszufinden, blieben vergeblich. Sie entschloß sich, das Land zu verlassen.

Heutige Besucher Birmas können reisen wie die Prinzessin zu ihren Glanzzeiten. In bequemen Korbstühlen an Deck eines umgebauten Rheinschiffes, der „Road to Mandalay“, nehmen die Gäste den high-tea und lernen, wie man den birmesischen Wickelrock trägt. Abends lädt ein Puppenspieler zum traditionellen Marionettentheater. Eine Pagode leuchtet im letzten Licht der Sonne aus dem Urwald.

Morgens wabert Nebel über dem flachen Fluß. Schemenhaft tauchen die Tempel von Pagan auf; Händler bieten vor den Pagoden filigrane Lackschalen und kostbare Birma-Rubine feil. Die Edelsteine symbolisieren den Reichtum und die Kultur des Landes.

Als Zeichen seiner Verehrung schenkte Sao seiner Inge einst einen Rubin zur Verlobung. Jahre später, als sie vor den Generälen floh, zog sie den Ring von ihrem Finger und schenkte ihn ihren Angestellten.

Der Abschied war endgültig, die Generäle sind bis heute an der Macht.

Inge Sargent: „Twilight over Burma. My Life as a Shan Princess“. University of Hawaii Press, 1994, 14,95 US-Dollar