Che Guevara, Ikone und Wunderheiler

Von der Suche nach den Überresten des Guerillaführers und der Hoffnung auf Touristen  ■ Aus Vallegrande Ingo Malcher

Ein leicht groteskes Bild gab der Suchtrupp der kubanischen Wissenschaftler schon ab: Ein Mann mit beigem Strohhut sitzt auf einem tragbaren Campingstuhl und starrt auf einen Seismographen, der in einem silberglänzenden Aluminiumkasten steckt. Dann schaut er über seine linke Schulter und gibt das Kommando: „Achtung!“ Hinter ihm geht sein Kollege mit Baseballkappe in Stellung, schwingt den schweren Hammer über die rechte Schulter und wartet. Der Mann vor der Alukiste beobachtet die Zeiger des Geräts und ruft: „Jetzt!“ Der andere schlägt mit dem Hammer auf eine schuhgroße Metallplatte, die vor ihm auf dem Boden liegt. Dann werden die Ausschläge des Seismographen in eine Liste eingetragen. So ging es den ganzen Tag.

Mit über den Boden gespannten Schnüren maßen die kubanischen Experten die Schwingungen, um Unregelmäßigkeiten im Boden festzustellen. Das Team suchte die gesamte ehemalige Landepiste des winzigen Flugplatzes von Vallegrande in Bolivien ab, in der Hoffnung, die Reste des Guerillahelden Ernesto Che Guevara zu finden, der im Oktober 1967 von bolivianischen Soldaten erschossen wurde. Am vergangenen Wochenende hat nun alles ein Ende gefunden. Das ausgegrabene Skelett Nummer zwei soll das von Che sein, sagen die Experten.

Revolutionstouristen pilgern zu ihrem Idol

Im 30. Todesjahr Che Guevaras wird Vallegrande zum Wallfahrtsort seiner Anhänger. Clevere Reisebüros in der fünf Autostunden entfernten Stadt Santa Cruz bieten schon Touren auf den Spuren Ches an. In Vallegrande hofft man, ein bißchen an dem Rummel zu verdienen. „Es kommen immer mehr Leute, die etwas über Che wissen wollen“, freut sich Ligia Morón, Sekretärin der Che-Guevara-Stiftung von Vallegrande.

An dem Hauptplatz des 5.000- Einwohner-Städtchens hat die Stiftung in einem Raum eines Hauses im Kolonialstil ihr Büro aufgeschlagen. Die Einrichtung ist spärlich: ein dunkler Holztisch, auf dem ein Faxgerät steht, einige Bänke und Stühle. Von der kahlen Wand strahlt Che auf die Besucher herab. Eigentlich hat der Bürgermeister von Vallegrande verboten, Che-Bilder in dem Stiftungsbüro aufzuhängen, doch Ligia Morón wehrt sich dagegen. „Wir sind doch in einem demokratischen Land, und der Bürgermeister muß uns akzeptieren.“

Die alte Frau hat die Leiche Ches damals vor 30 Jahren gesehen, als sie mit dem Hubschrauber aus dem nahe gelegenen La Higuera einflog, wo Che getötet wurde. Auch bei sich zu Hause hat Ligia Morón ein Che-Porträt hängen. Che schaut auf das Wohnzimmer mit dem Lehmziegelboden herab wie eine Heiligenfigur. Morón zeigt auf das Bild und sagt: „Er ist mein Begleiter, ich wohne allein hier.“

Die Räume der Che-Guevara- Stiftung sind für alle offen. Ein Schuhputzer kommt herein, setzt sich auf seinen Holzkasten und schläft ein. Im Jahr 1972 benannte der damalige Bürgermeister des Ortes eine der Straßen an dem Hauptplatz, an dem auch das Stiftungsbüro liegt, in „Che-Guevara- Allee“ um. Nur wenige Jahre danach ließ der damalige Militärdiktator Hugo Banzer, der im August wieder zum Präsidenten gewählt werden wird, der Straße einen anderen Namen geben. Seither heißt sie „Allee des Heers“.

Als Ches Leiche mit dem Helikopter in Vallegrande ankam und im Waschhaus des Krankenhauses aufgebahrt wurde, machten sich viele auf, um den Leichnam des argentinischen Arztes und legendären Guerilleros zu sehen, der zunächst an der Seite Fidel Castros in der kubanischen Revolution kämpfte, ehe er nach Bolivien kam, um die Revolution nach Lateinamerika zu tragen. Schon am Nachmittag kamen viele nicht mehr in das Waschhaus hinein.

„Als ich ihn sah, dachte ich, daß er noch am Leben sei, seine Ausstrahlung hat mich sehr beeindruckt“, erinnert sich Ligia Morón, die sich vom toten Che noch eine Locke als Andenken abgeschnitten hat. „Ich habe mich damals gefragt, warum das so kommen mußte, wenn er doch nur mehr Gerechtigkeit nach Lateinamerika bringen wollte.“

Das Waschhaus, in dem er aufgebahrt wurde, steht noch immer hinter dem kleinen Krankenhaus. Der helle blauweiße Putz des Häuschens bröckelt langsam ab. Die Waschbecken, auf denen der tote Che gelegen hat, stehen immer noch an ihrem Platz. An den Wänden haben sich schon einige Che-Pilger verewigt. „Sozialismus oder Tod“, hat jemand dort auf deutsch mit dem Taschenmesser in die Wand geritzt, „hasta la victoria siempre“, steht daneben. Auf den Fotos des toten Ches hat dieser noch die Augen geöffnet. „Comandante Che, sie konnten dir nicht die Augen schließen, daher bist du unsterblich“, wissen Besucher im Waschhaus.

Der Arzt Randy Escalante will aus dem Waschhaus ein kleines Che-Museum machen, „denn es ist ein historischer Ort und schon fast ein Wunder, daß das Haus noch heute steht, es ist erhalten geblieben, wie es damals war.“ Aber es spielt auch anderes eine Rolle: „Che ist ein Beispiel für alle, die eine Gesellschaft verändern wollen. Er war hier in der Gegend, daher sollte man den Ort erhalten.“ Für das Museum will Randy Escalante das Waschhaus reinigen, einige Che-Fotos aufhängen und Souvenirs ausstellen. Escalante hofft schon auf das erste Exponat: „Einer meiner Patienten hat von Che ein Rasierset bekommen. Hoffentlich wird er es uns für das Museum überlassen.“

Randy Escalante hat in Moskau Medizin studiert und ist nach seinem Studium in Vallegrande hängengeblieben. In dem Krankenhaus geht es ruhig zu. Im Empfangsbereich quakt es aus einem Funkgerät heraus, die Angestellte liest gelassen Zeitung, während ein kalter Wind durch die Fensterritzen dringt. Immer öfter kommen Besucher, die das Waschhaus sehen wollen. Dabei müssen sie erst das Krankenhaus durchqueren. Auf dem Waschbecken steht eine Pepsi-Cola-Flasche aus Plastik mit vergilbtem Etikett, die als Blumenvase für schon längst vertrocknete Nelken herhalten muß. Darunter steht: „Bolivien ist mit dir.“

Doch das war nie der Fall. Che Guevara irrte mit seinen Genossen in den Bergen um Vallegrande umher und versuchte, die Campesinos, die armen Bauern, auf seine Seite zu ziehen. Der Versuch schlug fehl, es war, als sprächen die Guerilleros eine andere Sprache, und die Campesinos schlossen sich der Guerilla nicht an. Hinzu kam die Angst vor der Repression der Armee. Der berühmte Comandante Che Guevara wurde in der Gegend von 5.000 Soldaten gejagt.

„Wenn er heute kommen würde, würden die Leute ihn unterstützen“, ist sich Ligia Morón sicher. In der Nähe von La Higuera wurde Che von der bolivianischen Armee aufgespürt und geschnappt. Einige Tage wurde er dort in dem inzwischen abgerissenen Schulhaus gefangengehalten und dann auf Befehl des damaligen Präsidenten René Barrientos erschossen.

In dem Nest La Higuera werden Besucher auf dem Dorfplatz von einer Che-Statue empfangen. „Bienvenidos Amigos – Willkommen, Freunde“ ist mit einer schwarzen Spraydose auf die Steine gesprüht. Der Kopf der Statue ist in Stein gehauen und schaut die einzige Straße des Dorfes hinunter. Der Stern auf seiner Mütze wurde selbstverständich rot angepinselt, die Augen sind mit einem stechenden Türkisblau übermalt worden.

Die Campesinos stiften Kerzen für den Regen

In La Higuera wird Che auch „Santo de la Higuera, der Heilige von La Higuera“ genannt. Wenn es längere Zeit dort einmal nicht geregnet hat, stiften die Bauern des Dorfes Che Kerzen, damit er Regen bringt. Ein Campesino, der Che noch lebend getroffen haben will, ist sich sicher, daß „Che Wunder vollbringen kann“. Der Campesino sitzt in seinem düsteren Zimmer auf dem Bett und starrt zur Tür hinaus. Im Hinterhof sortiert seine Frau mit den Kindern Maiskörner, ein kleiner Hund läuft bellend mitten hindurch. „Die Eltern eines kranken Jungen, dem der Arzt nur wenig Hoffnung machen konnte, stifteten Che Blumen. Heute ist der Junge wieder gesund“, beteuert er.

„Die Campesinos der Gegend sind eben sehr abergläubisch“, belächelt der Bürgermeister von Vallegrande, Jaime Rodriguez, solche Geschichten. Rodriguez ist Mitglied der ADN, der Partei des Ex-Diktators und neuen Präsidenten Boliviens, Hugo Banzer. So ganz recht ist ihm der Rummel um Che nicht. In seinem großen Arbeitszimmer bittet er Besucher in die Sofaecke und redet sich um die drückenden Punkte herum. „Zu ideologischen Themen“ möchte er sich nicht äußern, „denn ich sympathisiere politisch wenig mit ihm.“

Allerdings sieht er im Che-Tourismus eine Chance für den Ort. Wenn im Oktober zum 30sten Todestag von Che Guevara in Vallegrande tatsächlich das geplante Che-Happening stattfinden sollte, werde die Stadt schon mit den erwarteten dreitausend bis fünftausend Besuchern klarkommen. Vorbereitungen hat der Bürgermeister allerdings noch nicht getroffen. Aber immerhin sind mit Mercedes Sosa, Silvio Rodriguez, Gabriel Garcia Márquez hochrangige Gäste von der Che-Stiftung geladen worden. Nur zugesagt haben sie noch nicht.

Viele in Vallegrande befürchten nun, daß die kubanischen Experten die Überreste ihres Revolutionshelden mit nach Hause nehmen. Für Ligia Morón ist die Sache klar: „Ich will, daß sie unseren Comandante hier lassen“, insistiert sie, wahrscheinlich vergebens. „Es wäre unwahrscheinlich traurig, wenn er tatsächlich weggebracht wird.“