Wenn es geht, Gitarrensaiten

■ Lieder über das Flüchtige und schwer Erreichbare. Zum Tod von Bulat Okudschawa, dem bedeutendsten russischen Chansonnier, Dichter und Romancier

Am Donnerstag verstarb im Alter von 73 Jahren in Paris nach schwerer Krankheit der russische Chansonnier, Dichter und Romancier Bulat Okudschawa. Seine Poesie verzichtete weitgehend auf politische Begriffe. Sie war dem Flüchtigen und schwer Erreichbaren gewidmet: dem blauen Luftballon, der dem Kind davonfliegt; der vergangenen Freundschaft und den Schwestern Vera, Ljubow und Nadjeschda (Glaube, Liebe, Hoffnung), zu denen der Sänger auf dem Weg ist.

Trotzdem wurden Okudschawas Lieder seit den siebziger Jahren auch zum politischen Erkennungszeichen in den sowjetischen Wohnküchen. Sie wurden zum Symbol des nichtoffiziellen Lebens – nicht etwa eines anderen Rußland –, denn dem Halbgeorgier war jeder Nationalismus fremd. Demokrat war Bulat Okudschawa lange bevor die Demokratie im eigenen Lande zur Mode wurde und in einem tieferen Sinne, als die meisten von uns es zu sein vermögen.

Ich erinnere mich seiner Ankunft einstmals in Berlin, in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, zu Berliner Festspielen, die auf dem Höhepunkt der Gorbatschow-Ära der Kunst der Perestroika gewidmet waren. Da flogen die Größen des russischen kulturellen Wanderzirkus aus Moskau ein: der Regisseur Elem Klimow, die Dichter Jewgeni Jewtuschenko und Andrej Wosnessenski. Sie umgaben sich schnell mit der gewohnten Hofhaltung und den unsichtbaren Schlagbäumen, die die Sowjetelite stets vor allzu großem Streß bewahrten. Fans, die sie an den wichtigen Einkäufen für die daheimgebliebenen Lieben durch allzu aufdringliche Verehrung hinderten, ließen sie einfach mit kalter Verachtung abblitzen.

Bulat Okudschawa kam auf dem Landweg aus Spanien. Er war schon damals sehr schwer magenkrank und hatte die lange Bahnfahrt nur mit Mühe überstanden. Da er nicht besonders darauf erpicht war, andere um sich rotieren zu sehen, saß er bescheiden und weise in einer Ecke. Ich fragte ihn schließlich, ob er vielleicht etwas einkaufen wolle. Und da sagte er leise: „Nur eine Sache, wenn es geht, Gitarrensaiten.“

Wir fuhren im Taxi, auf dessen Hintersitz der kleine, abgemagerte Mann sich fast verlor, in die Musikalienhandlung an der Ecke Kantstraße/Krumme Straße. Und dort, im Halbdunkel zwischen Instrumenten und Notenblättern, getaucht in einen goldenen Sonnenstrahl, in dem die Stäubchen tanzen, wird er nun ewig in meinem Gedächtnis sitzen bleiben und still und andächtig verschiedene Gitarrensaiten durch seine spinösen Händchen gleiten lassen – das elementare Handwerkszeug, das ihm zu Hause fehlte.

Während der anstrengenden Proben – die Chansontexte wurden zum Teil in letzter Minute übersetzt und mußten von einer Schauspielerin eingelesen werden – verlor er nicht einmal die Nerven. Nie wandte er sich schroff von ungeladenen Bewunderern ab, die hinter die Kulissen drangen. Sein Konzert in der Akademie der Künste endete damals in einem Meer von Ovationen, Blumen und Tränen. Und jetzt scheint es, als sei er von uns fortgefahren, mit dem „Trolleybus“ aus seinem berühmtesten Chanson, der niemanden in der Moskauer Kälte sitzen läßt und immer „der letzte“ sein wird. Barbara Kerneck