Nichts zu essen, aber Hoffnung

Mit dem Versprechen harter Zeiten steuert Bulgariens Regierung auf den Wahlsieg zu  ■ Aus Sofia Barbara Oertel

Ungeduldig drängen die Massen in den großen Saal. An den Wänden des Kongreß- und Sportzentrums „Universiada“ im Osten der bulgarischen Hauptstadt Sofia hängen Plakate mit einem Foto von den Januardemonstrationen. Darauf steht: „Eine Zukunft für Bulgarien. Vereinigung der demokratischen Kräfte ODS!“

Die Band legt los, Jugendliche stürzen auf die Tanzfläche. Eine kleine Gruppe von Herren in Anzügen und Krawatten mischt sich unter die Teenager und versucht angestrengt, im Takt zu bleiben. Kurz darauf wird die Politprominenz auf die Bühne gerufen. Julia Berberian-Maleeva, Mutter der drei Tennisspielerinnen Katharina, Manuela und Magdalena Maleeva und ODS-Kandidatin im Sofioter Stadtteil Slatina, ruft ins Mikrofon: „Schätzt diese Freiheit. Sie ist mit viel Leid erkämpft worden.“ Dann reißt sie den Arm in die Höhe, die Hand zur Faust geballt: „Wir werden siegen!“ Bevor Julia durch eine Seitentür den Saal verläßt, sagt sie noch zu einigen Umstehenden: „Der Sieg ist unser. Fragt sich nur, wie hoch er ausfällt.“

Glaubt man den letzten Umfragen, dann hat das Bündnis ODS, dessen Anhänger im Januar mit ihren tiefblauen Fahnen wochenlang die Sofioter Innenstadt dominierten, bei den Parlamentswahlen am kommenden Sonnabend beste Chancen, die absolute Mehrheit der Stimmen einzufahren. Diese Siegesgewißheit erklärt wohl auch, warum die ODS einen eher verhaltenen Wahlkampf führt. Lediglich einige Plakate mit Fotos der Demonstrationen und ein paar Spruchbänder mit dem Slogan „Wir können“ künden von den bevorstehenden Wahlen. Und Auftritte wie unlängst einer auf dem Land, wo ODS-Vertreter Socken, Würste und Croissants in die Menge warfen, sind eher die Ausnahme. „Der Wahlkampf ist ziemlich fade und langweilig, weil das Ergebnis schon feststeht: Die Sozialisten verlieren, die ODS gewinnt“, befindet die Tageszeitung 24 Stunden.

Ihre komfortable Ausgangsposition hat die ODS unter Führung von Ivan Kostow der Übergangsregierung von Stefan Sofianski zu verdanken. Der Sofioter Bürgermeister hat es in nur zwei Monaten Amtszeit geschafft, für die jahrelang verschleppten Wirtschaftsreformen die Weichen zu stellen. Es gibt wieder Brot und Benzin. Hyperinflation und Währungsverfall sind gestoppt. Die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) haben zu ersten konkreten Ergebnissen geführt. Am vergangenen Freitag erhielt Bulgarien vom IWF mit 180 Millionen Dollar die erste Zahlung von insgesamt 657 Millionen Dollar Finanzhilfe. Zwar haben diese Maßnahmen für viele Menschen noch nicht zu einer spürbaren Verbesserung ihrer Lage geführt. Vor allem die ältere Bevölkerung treffen die höheren Preise, zum Beispiel für Strom, hart. Trotzdem ist Sofianski nach Staatspräsident Petar Stojanow derzeit der populärste Politiker im Land. Und viele Bulgaren rechnen ihm hoch an, sie über die Probleme aufgeklärt und unpopuläre Maßnahmen ehrlich angekündigt zu haben. „Ich glaube an Sofianski und Kostow“, sagt der 21jährige Student Vasil Angelow aus Sofia. „Sie haben mir zwar nichts zu essen gegeben, aber sie haben mir wieder Hoffnung gegeben.“

Den Erfolgen von Sofianski, die ODS-Chef Kostow für sich auszunutzen versteht, haben die anderen Parteien kaum etwas entgegenzusetzen. So verwundert es nicht, daß die Sozialistische Partei BSP leise Töne anschlägt. Statt wie früher Speiseöl und Deckel für Einweggläser zu verteilen, warten die Exkommunisten mit der Losung „Wählen Sie die Kraft der Vernunft“ auf. Nicht selten liegen die ohnehin spärlichen Plakate aber in Fetzen auf der Straße. „Und überhaupt“, sagt ein junger Mann, „die haben nur nachts Plakate geklebt. Was das bedeutet, ist doch klar.“

Trotz einer verbreiteten Anti- BSP-Stimmung haben sich die Werte für die „Roten“ in den letzten Tagen etwas verbessert. Nach jüngsten Umfragen kommen die Sozialisten, die mit dem „Klub Ekoglasnost“ als „Koalition Demokratische Linke“ antreten, auf rund 24 Prozent der Stimmen.

„Das einzige, was überhaupt noch interessant ist, ist die Frage, wer von den kleinen Parteien ins Parlament kommt“, sagt die Fernsehjournalistin Nevena Andonova. Berechtigte Hoffnungen, in das Parlament einzuziehen, kann sich vor allem die Vereinigung für Nationale Rettung (ONS) machen. In diesem neuen Bündnis finden sich neben der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), die vor allem die Interessen der türkischen Minderheit vertritt, Monarchisten, Agrarier und die Grüne Partei. Weshalb in Sofia auch nicht selten der Witz zu hören ist: Die Partei der Türken zusammen mit den Monarchisten – das könne für Bulgarien ja nur auf einen Sultan hinauslaufen.

Allerdings arbeitet gerade DPS- Chef Achmed Dogan mit Erfolg daran, die Chancen für sein Wahlbündnis zu verringern. Als Anfang der Woche in der südbulgarischen Stadt Kirdschali ein bekannter Mafiaboß, dem enge Verbindungen zur DPS nachgesagt werden, verhaftet wurde, kommentierte Dogan das mit den Worten: Die Festnahme sei wegen des politischen Credos des Mafiosi erfolgt und daher eine Diskriminierung.