Visionen mit kleinen Krediten

„Im Jahr 2020 ist Bangladesch ein Land ohne Armut“, sagt Mohammed Yunuz, Gründer der Grammeen-Bank, die Kleinkredite vergibt  ■ Von Stephanie von Oppen

Ein Papayabaum war ihre erste Investition. Heute besitzt Saleha Begum eine kleine Plantage und hat soviel Geld erwirtschaftet, daß sie sich ein geräumiges Lehmhaus samt Innenhof bauen konnte. Dort versammeln sich die Mitglieder der Frauenkooperative, der sie angehört. Den Kredit hatte Saleha Begum von der Nichtregierungsorganisation (NRO) „Christian Comission for Development in Bangladesh (CCDB)“. Ursprünglich hatten die Frauen Bildungsprogramme über Gesundheit, Familienplanung, ökologische Landwirtschaft und Alphabetisierung durchgeführt.

Dazu gehörte auch die Gründung von Kooperativen. Kleinkredite waren im entwicklungspolitischen Konzept der Organisation eigentich nicht vorgesehen. Doch die Kleinkredite der Grammeen- Bank, der Bank der Armen, wurde für CCDB zum erfolgreichen Vorbild. Heute sind sie der wichtigste Pfeiler der Arbeit von CCDB. „Die Menschen auf den Dörfern erwarten heute, daß Entwicklungshilfeorganisationen auch Kredite vergeben“, sagt Susanta Adhikari, Direktor von CCDB.

Angefangen mit der Grammeen-Bank hatte Mohammed Yunuz 1976. Damals kehrte der Wirtschaftsprofessor aus den USA nach Bangladesch zurück, mit dem festen Vorsatz, etwas für die Armen zu tun. Die Bank gründete Yunuz, Sohn einer wohlhabenden Familie, mit seinem eigenen Kapital. Als sich die ersten Erfolge seines Kreditvergabesystems abzeichneten, bekam er Hilfe aus dem Ausland. Allein 25 Millionen Mark aus dem Entwicklungshilfefonds der Bundesregierung hat Yunuz seit 1985 bekommen.

Yunuz residiert inzwischen mit seiner „Bank der Armen“ in einem repräsentativen Gebäude in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch. „Kredite sollten als Menschenrecht behandelt werden“, predigt er von dort aus. Von den 13 Mitgliedern des Bankvorstandes sind, laut Yunuz, neun ehemalige Darlehensnehmerinnen. Seinen Kundinnen gehöre die Bank zu 90 Prozent, betont Yunuz. Daß sich die wirtschaftliche Situation Bangladeschs in den nächsten 25 Jahren entscheidend verbessern wird, steht für ihn außer Frage: „Im Jahr 2020 ist Bangladesch ein Land ohne Armut.“

Seine Kundinnen haben auch das blau-grün gestreifte Hemd genäht, das er trägt. Von den Frauen gewebte Leinenstoffe vertreibt Yunuz inzwischen über seine Exportfirma Grammeen-Enterprise ins Ausland. Damit entkräftet er einen seiner Kritiker, Binayak Sen vom Institut für Entwicklungsstudien in Dhaka. Der Ökonom moniert, daß „Kleinkredite nur zu Jobs im informellen Sektor führen“. Es kämen keine dauerhaften Arbeitsplätze zustande, außerdem sei der Markt für Eier, Milch und Kleider irgendwann besetzt. Binayak Sen stellt sich vor, daß Bangladesch mit seinem Angebot an Billigarbeitskräften den Weltmarkt erobert – wie zuvor die asiatischen Tigerstaaten.

Doch auch Mohammed Yunuz geht es nicht um die ländliche Idylle. Er setzt auf moderne Technologien. Statt rührender Geschichten von Frauen auf dem Land, die es mit Hilfe von Kleinkrediten zu bescheidenem Wohlstand gebracht haben, erzählt Sozialökonom Yunuz lieber von seinen Plänen, im nächsten halben Jahr ein Funktelefonnetz aufzubauen. Auf diese Weise sollen auch die BewohnerInnen der abgelegensten Dörfer miteinander kommunizieren können. Bislang gibt es in Bangladesch nur ein Telefon auf 500 EinwohnerInnen, und zahllose Dörfer haben gar keine Leitungen. „Da kann gerade die neueste Technologie Bangladesch helfen“, sagt Yunuz. In dem flachen Land reichen Funkwellen weit, Leitungen durch unwegsames und oft überschwemmtes Gebiet sind nicht nötig. „Frauen können mit Grammeen-Krediten Handys kaufen und damit zur Telefonzelle des Dorfes werden“, erzählt Yunuz von seiner Vision.

Eine staatliche Lizenz hat seine geplante Telefongesellschaft bereits, ein ausländisches Unternehmen wird die Technik liefern. Ende März soll es losgehen. Für die Zukunft träumt Yunuz davon, daß Reisbäuerinnen über Handy im Internet mitsurfen können. „Stellen Sie sich vor, wenn dann die Frau mit einer in Frankfurt kommunizieren kann.“

Das Unternehmen Grammeen expandiert und schreibt schwarze Zahlen. Nachdem Kleinkredite à la Grammeen inzwischen in vielen Ländern des Südens vergeben werden, wollen sich die Kreditgeberorganisationen stärker vernetzen. Daher findet seit gestern der „Mikrokreditsummit“ in Washington statt. Yunuz ist Mitinitiator dieses Kleinkreditgipfels. Die Nähe des Veranstaltungsortes zur Weltbank ist nicht ganz zufällig. Sie gehört zu Yunuz' größten Fans.

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