Machismo und Moderne

Chile — eine kuriose Mischung aus Katholizismus und Patriarchat. Ehen dürfen dort nicht geschieden werden, Frauen haben dort wenig zu sagen  ■ Von Astrid Prange

Ginge es nach Chiles Justizministerin Maria Soledad Alvear, so verdient kaum eine der westlichen Demokratien ihren Namen. „Solange die Mehrheit der Bevölkerung, und dies sind die Frauen, vom öffentlichen Leben ausgeschlossen sind, gibt es keine Demokratie“, stellt die Christdemokratin klar. Sieben Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur hinter den Anden hat die Justizministerin den Begriff der Menschenrechte von verfolgten Regimegegnern auf Frauen, Kinder, Indianer und alle sonst benachteiligten Bevölkerungsgruppen ausgeweitet.

Es waren die Frauen, die sich während der Diktatur (1973 bis 1989) auf die Straße wagten und die Ermordung politischer Gegner anprangerten, erinnert Soledad Alvear. Mangelnde Zivilcourage und Schüchternheit könne man den Chileninnen folglich nicht vorwerfen. Soledad Alvear ist eine der drei Frauen im 19köpfigen Kabinett von Chiles Präsident Eduardo Frei. Ein Sieg des Feminismus? Wohl kaum. Wie die meisten chilenischen Politikerinnen wurde auch Soledad Alvear von ihrer Familie geprägt. Bereits mit dreizehn Jahren begleitete sie ihren Vater auf politische Versammlungen.

Feminismus ist im „konservativsten Land Lateinamerikas“ — so der Vorsitzende der sozialistischen Partei, Ricardo Solari — ein Fremdwort. „Chile ist der allgemeinen Entwicklung etwas hinterher“, spöttelt die Frauenrechtlerin Julia Mendes vom „Centro de los Estudios de la Mujer“ (CEM) aus Santiago. Hier gälten Mädchen, die die „Pille“ nähmen, als Prostituierte, und schwangere Schülerinnen würden vom Unterricht ausgeschlossen. Sexualkunde oder Aufklärungsunterricht gehörten nicht in den Lehrplan. Im Unterricht würden lediglich die biologischen Aspekte menschlicher Fortpflanzung behandelt.

Die rund sieben Millionen Frauen in dem Land zwischen Anden und Pazifik kämpfen nicht um Gleichberechtigung, sondern um elementare Bürgerrechte. Auf dem Arbeitsmarkt ist schlechtere Bezahlung von Frauen per Gesetz festgeschrieben, da der gesetzliche Mindestlohn von umgerechnet 300 Mark ausgerechnet für den weiblichen Beruf der Hausangestellten nicht gilt.

In der Ehe sind Frauen und Männer erst seit drei Jahren vor dem Gesetz gleichgestellt. Bei einer Eheschließung unter dem Regime der Gütergemeinschaft hat die Frau neuerdings Anspruch auf die Hälfte des gemeinsam erwirtschafteten Vermögens. Gipfel der chilenischen Mischung aus Katholizismus und Patriarchalismus: Chile ist das einzige christliche Land der Welt, wo Ehen nicht geschieden werden dürfen und „uneheliche“ Kinder vor dem Gesetz benachteiligt werden (siehe Kasten).

Trotz der auffälligen Diskriminierung von Frauen, die kein einziger Politiker bestreitet, genießen Frauen- und Familienfragen in der chilenischen Politik kaum Aufmerksamkeit. Julia Mendes vom „Centro de los Estudios de la Mujer“ (CEM) führt dies auf die frauenfeindlichen Strukturen innerhalb des chilenischen Parteiensystems zurück. „Während der Diktatur haben Frauen öffentliche Großküchen organisiert und die Folter ihrer Söhne angeprangert“, erinnert sie sich. In der Demokratie habe sich die Bewegung zerstreut. „Wenn eine Frau heute politisch etwas bewirken will, muß sie in eine Partei eintreten“, bilanziert die Feministin. Doch seit dem Übergang zur Demokratie hätten dort die Männer die entscheidenden Posten wieder an sich gerissen.

Zwölf Parlamentarierinnen und drei Senatorinnen haben es geschafft, von ihrer jeweiligen Partei als Kandidatin aufgestellt und anschließend ins Parlament gewählt zu werden. „Es ist fundamental, daß die Frauen die Diskriminierung überwinden, indem sie selbst die Macht ergreifen“, meint Adriana Munoz, Abgeordnete der Sozialistischen Partei PS im 120köpfigen Parlament. Die Vorsitzende der „Föderation Sozialistischer Frauen“ hatte mit der Parteiführung ausgehandelt, daß die PS bei den ersten freien Wahlen nach der Diktatur im Jahr 1989 im besten Wahlbezirk eine Frau als Kandidatin aufstellen würde. Als es soweit war, wurde sie vom Kandidaten der sozialistischen Jugend verdrängt. „Meine Kandidatur galt als schwächer, weil ich eine Frau bin“, ist sie überzeugt. Schließlich eroberte sie ihr Mandat in einem anderen Disktrikt.

Carmen Frei, einzige Christdemokratin im chilenischen Senat mit insgesamt 46 Sitzen, sollte ihrer Partei ein frauenfreundliches Image verschaffen. „Die Partei hat meine Kandidatur unterstützt, weil sie Interesse an einer Frau im Senat hatte“, erklärte die Tochter des ehemaligen christdemokratischen Präsidenten Eduardo Frei Senior(1964–1970). Im Senat stieß die Präsidententochter auf erheblichen Widerstand, als sie sich ausgerechnet dem „männlichen“ Thema Bergbau widmete. „Ich wollte mich um bessere Arbeitsbedingungen in den Minen kümmern“, so Carmen Frei, „doch die männlichen Kollegen erwarteteten von mir, daß ich mich mit Frauenthemen und sozialen Fragen beschäftige.“

Frauen- und Familienthemen gelten in Chile nach wie vor als Nebensache (siehe Interview mit Frauenministerin Bilbao). „Zwischen 1990 und 1993 wurden im chilenischen Kongreß 20 Gesetzentwürfe zum Thema Frau und Familie eingebracht“, erinnert sich die Abgeordnete Adriana Munoz. „Lediglich zwei davon, das Gesetz gegen innerfamiliäre Gewalt und die gleichberechtigte Beteiligung der Frau an der ehelichen Gütergemeinschaft, wurden bis jetzt verabschiedet.“ Die sozialistische Abgeordnete hofft, daß die Chileninnen nun bei den bevorstehenden Gemeindewahlen im Dezember zur Eroberung von politischen Ämtern ansetzen. Doch die PS ist bisher die einzige Partei Chiles, die zwanzig Prozent aller Listenplätze für Kandidatinnen freihält. Die „Quotenregelung“ ist eine „freiwillige Empfehlung“.