Nur ein Wirtschaftsgut

■ Der Regierungsentwurf des Gesetzes über "Informations- und Kommunikationsdienste" setzt auf Selbstkontrolle im Internet

Ein „Armutszeugnis“ nannte es die IG Medien. Ein „Ende des Föderalismus“ befürchtete der nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Technologieminister Wolfgang Clement, SPD. Andere Sozialdemokraten, wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, sahen sogar die Meinungsfreiheit in Gefahr.

Letzte Woche hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf, über den mit solch martialischer Rhetorik diskutiert wurde, an den Bundestag weitergeleitet: Über das – inzwischen leicht modifizierte – „Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz“ (IuKDG) werden nun die Bonner Abgeordneten beraten. Im Wortlaut nachzulesen ist der Entwurf unter www.thur.de/ulf/politik/ iukdg.html. Die Begründungen für die einzelnen Paragraphen sind abrufbar unter http://www.uniduesseldorf.de:80/WWW/Jura/ netlaw/IuKDG-Begr.html

Das Gesetzespaket besteht aus dem eigentlichen Telekommunikationsdienstegesetz, einem Gesetz über die Beglaubigung elektronischer Signaturen, wie sie bei Public-Key-Verfahren zur Datenverschlüsselung (zum Beispiel PGP) erforderlich sind, und mehren Änderungen bereits bestehender Gesetze. Alles zusammen soll die bislang mehr oder weniger unreglementierte Kommunikation im Internet und anderen Computernetzwerken auf eine gesetzliche Grundlage stellen.

Bisher fand die Online-Kommunikation in einem rechtlichen Vakuum statt. Übereifrige Staatsanwälte konnten darum immer wieder durch spektakuläre Aktionen auf sich aufmerksam machen: Mal wurde der Online-Dienst CompuServe von der Münchner Staatsanwaltschaft wegen der angeblichen Verbreitung von Kinderpornographie untersucht. Dann zwang die Mannheimer Staatsanwaltschaft T-Online, den Online-Dienst der Deutschen Telekom, ihren Kunden den Zugang zu der Homepage des kanadischen Rechtsradikalen Ernst Zündel im World Wide Web zu sperren. Zündel hält dort Neonazi-Unfug vor, der in Kanada durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt ist, in Deutschland aber als Volksverhetzung gilt. Selbst ein harmloser Spiegel-Artikel über Anleitungen zum Bombenbau, die im Internet so gut verfügbar sind wie in einschlägigen Buchhandlungen, wurde vergangene Woche Anlaß neuer Ermittlungen der selbsternannten Mannheimer Netzwächter. Mit solchen Schnellschüssen dürfte es vorbei sein, wenn das Informations- und Kommunikationsgesetz in seiner vorliegenden Form ratifiziert wird. Danach haben die Anbieter von Online- Kommunikation keine Verantwortung für die Inhalte, die über ihre Systeme verbreitet oder abgerufen werden. Und das zu Recht: Würde man Online-Dienste für die Verbreitung von strafbaren Inhalten haftbar machen, wäre das etwa so, als würde man der Bundespost die Verantwortung für die Briefe, die sie zustellt, aufbürden.

Nur zweifeln selbst die Ministralbeamten, die den Entwurf geschrieben haben, ob die Bestimmungen vom Bundestag unverändert verabschiedet werden. Die deutsche Online-Wirtschaft konnte ihre wichtigsten Forderungen durchsetzen. „Ganz zufrieden“ mit dem neuen Gesetz ist darum auch der Hennefer Rechtsanwalt Michael Schneider, Vertreter des Electronic Commerce Forum (eco), einer Lobbygruppe deutscher Internet-Provider: Es „schafft Rechtssicherheit für die deutschen Internet Provider“.

Unter dem Namen „Multimedia-Gesetz“ hat die Verordnung lange für heftige Debatten unter den Betroffenen gesorgt. Ursprünglich sollte die Verordnung nicht nur für Online-Kommunikation, sondern auch für andere Multimedia-Dienste wie Video-on-demand, Pay-TV, Teleshopping oder interaktives Fernsehen gelten. Dagegen liefen die Ministerpräsidenten der Länder Sturm: Multimedia-Dienste seien Rundfunkangebote und müßten darum – wie das private Fernsehen – von den Länder reguliert werden. Dann hätten unter Umständen internationale Online-Dienste wie CompuServe bei den 15 Landesmedienanstalten einzeln eine Lizenz beantragen müssen. Um die bei kommerziellen Sendern üblichen „Genehmigungsschlachten“ (Wolfgang Clement) zu verhinderten, einigten sich Anfang Juli der Bund und die Länder: Online-Kommunikation ist Bundesangelegenheit, Teleshopping, Pay-TV und Video-on- demand bleiben Ländersache.

Die Länder haben daraufhin einen Entwurf für einen „Mediendienste-Staatsvertrag“ vorgelegt – zur Zeit am besten einsehbar unter http://www.anwalt.de/import/ staatsv1.htm, dem Server des eco- Rechtsanwalts Schneider. Im Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz heißt es jetzt nur: „Teledienste sind frei. Sie bedürfen keiner besonderen Anmeldung oder Zulassung.“

Kritiker beklagen, daß damit die Online-Kommunikation wie ein beliebiges Wirtschaftsgut behandelt werde. Außerdem könnte sich die Technologie so schnell weiterentwickeln, daß die Trennung zwischen Fernsehen und Online-Kommunikation hinfällig werde. Schon bald dürften auch Fernsehprogramme über das Internet verbreitet werden. Michael Schneider: „Wo heute noch klare technische und möglicherweise auch juristische Grenzen zu ziehen sind, entstehen dann neue Kompetenzstreitigkeiten. Wer soll beispielsweise für ein festnetzbasiertes Interactive TV zuständig sein?“

Der wichtigste Teil der neuen Bestimmung ist der Paragraph 5 des Gesetzes über die Nutzung von Telediensten. In ihm wird die Verantwortlichkeit der Anbieter von „Tele-Diensten“, also von Online- Diensten, Internet-Providern und Mailboxen-Betreibern geregelt. Im ursprünglichen Gesetzentwurf hieß es, daß die Betreiber dieser Teledienste für die Inhalte, die über ihr System verbreitet werden, verantwortlich seien. Dann könnten wir gleich zumachen“, sagt Robert Rothe, Geschäftsführer des Internet-Providers Interactive Networx (www.inx.de oder www.snafu.de), der Privatkunden und Unternehmen anschließt. Es sei weder möglich noch Aufgabe des Providers, das Material, das über seinen Server geht, auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Das neue Gesetz gibt Rothe recht: „Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, zu denen sie lediglich den Zugang zur Nutzung vermitteln, nicht verantwortlich.“

Anders sieht es bei Daten aus, die ein Internet-Provider auf seinen eigenen Rechner gespeichert hat und von dort anderen zugänglich macht. „Diensteanbieter sind für fremde Inhalte, die sie zur Nutzung bereithalten, nur dann verantwortlich, wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern“, heißt es im Gesetz. Um die Strafverfolgung zu erleichtern, soll auch das Gesetz über die Verbreitung jungendgefährdender Schriften geändert werden: Es gilt dann auch für „Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen“.

Internet-Provider wie Interactive Networx, auf deren Server auch Kunden ihre eigenen WWW- Homepages ablegen, müssen trotzdem nicht jede Site überprüfen. Robert Rothe: „Wir könnten es uns gar nicht leisten, alles selbst zu durchforsten und nach strafrechtlich relevantem Material zu suchen.“ Wenn Polizei, Staatsanwaltschaft oder Internet-Surfer auf Inhalte hinweisen, die gegen geltende Gesetze verstoßen, sind Provider jetzt allerdings gesetzlich verpflichtet, diese zu entfernen.

Das hat man bei Interactive Networx freilich schon in der Vergangenheit getan: So habe sich zum Beispiel ein User über eine Seite beschwert, auf der es einen Link zu einem pornographischen WWW-Angebot gab. Man habe den Kunden auf die Beschwerde hingewiesen, der den Link daraufhin von seiner Homepage entfernt habe, sagt Robert Rothe: „Anders läßt sich das Internet überhaupt nicht verwalten. Solche Streitfälle regelt kein Gesetz, sondern die Netiquette“, der Ehrenkodex der Internet-User. Auch eco-Sprecher Harald Summa lobt: „Das Gesetz regelt nicht zuviel, sondern überläßt viel der freiwilligen Selbstkontrolle des Netzes.“

Wenn es dabei bleibt. Wie die Debatte um den amerikanischen Communication Decency Act gezeigt hat, eignet sich das Internet hervorragend als Watschenmann für populistische Politiker, die sich durch den Ruf nach Law and order hervortun wollen. Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen könnten deshalb versucht sein, Punkte zu machen, indem sie mehr Kontrolle fordern. Tilman Baumgärtel

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