„Das Verständnis für Einschnitte ist dahin, der Unmut wächst“

■ Andrea Fischer, sozialpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, über den Sparzwang und grüne Alternativen

taz: Frau Fischer, mal ehrlich: Sind Sie angesichts des Problemstaus nicht froh, daß die Grünen gegenwärtig nicht in der Regierungsverantwortung stehen?

Andrea Fischer: Im Gegenteil. Die Alternative zu einer Regierungsbeteiligung der Grünen sehen Sie doch in dem Sparpaket der Koalition von vergangener Woche, das ich für grundfalsch halte. Sie werden nicht erleben, daß ich mich jetzt zufrieden zurücklehne und sage: Sollen die anderen nur mal alles falsch machen...

Die Grünen haben aber auch keine fertigen Konzepte.

Wir haben es mit einer Regierung zu tun, die seit 13 Jahren im Amt ist und über Fachleute verfügt. Die haben sich vier Wochen mit dem Sparpaket gequält, und herausgekommen ist eine Mißgeburt. Die Regierung trifft strukturell falsche Entscheidungen.

Wenn Sie nun gegen das Regierungspaket mobilisieren, entsteht der Eindruck, die Opposition wolle am schlechten Status quo festhalten. Wie kommen Sie aus diesem Dilemma heraus?

Es wäre schon einmal viel gewonnen, wenn die Opposition sich über dieses strategische Dilemma im klaren wäre. Wir sehen das aber inzwischen deutlicher als die SPD. Es gibt Sozialgesetze und Regelungen, die müssen gegen den massiven Angriff verteidigt werden. Aber wir dürfen keinen Status quo verteidigen, von dem wir wissen, daß er nicht funktionieren kann. Wir werden beispielsweise energisch protestieren, falls den Sozialhilfeempfängern nun die absolut kärgliche Erhöhung gestrichen werden sollte, die sie erwarten durften. Das heißt aber nicht, daß wir die Sozialhilfe als Einrichtung verteidigen. Wir arbeiten weiter an einem Alternativmodell. Die Verteidigung des Status quo alleine kann den Sozialstaat nicht retten, der ist nur durch Reformen zu retten.

Was ist Ihre Grundkritik?

Der politische Mainstream zielt im Moment nicht mehr auf die Überwindung von Armut – auch nicht bei der SPD. Wir werden uns auch weiterhin einer Entwicklung entgegenstellen, bei der die vermeintlich Schwächsten bluten müssen, weil das Ganze zu teuer ist. Wir meinen: Nicht bei den Schwächsten kürzen, sondern die Hilfe auf die ausrichten, die heute schon am Rande stehen oder an den Rand gedrängt zu werden drohen. Dazu muß man die Transferzahlungen an Leute überprüfen, die darauf gar nicht angewiesen sind.

Die Mittelschichten sollen auch zahlen?

Selbstverständlich muß man dabei auch auf die Solidarität der Mittelschichten setzen. Aber man muß ihnen auch klarmachen, daß auch ihr eigenes Leben viel risikoreicher geworden ist, daß eine vermeintlich sichere Mittelschichtsposition so nicht mehr existiert. Unsere Sozialpolitik ist damit auch ein Angebot an die Mittelschichten.

Würden Sie die Gewerkschaften unterstützen, wenn sie gegen das Sparpaket der Regierung streiken?

Selbstverständlich würden wir das tun, wenn es um einen Widerstand gegen die nun beschlossenen Kürzungen ginge. Bevor die Regierung dieses Paket vorgelegt hatte, gab es in der Bevölkerung Verständnis für drastische Einschnitte. Aber das Paket weist so krasse Ungleichgewichte auf, etwa beim Kindergeld, daß sich die Wahrnehmung nun deutlich geändert hat. Der Unmut wächst erheblich. Interview: Hans Monath