Räumung jetzt täglich

■ Kleine Hamburger Straße 5 geräumt. Polizeipräsident verteidigt Palisadenstraßen-Aktion. Besetzer monieren Rechtsbruch

Nur einen Tag nach der umstrittenen Räumung der Palisadenstr. 49 in Friedrichshain hat die Polizei gestern erneut ein langjährig besetztes Haus geräumt. Gegen acht Uhr morgens wurden die etwa zehn Bewohner der Kleinen Hamburger Straße 5 in Mitte aufgefordert, das Haus zu verlassen. „Es wurde ein Räumungsurteil des Landgerichts gegen eine Bewohnerin vollstreckt“, erklärte der Einsatzleiter der Polizei. Alle weiteren Personen hätten sich illegal in dem Haus aufgehalten. Eine Person sei aufgrund eines vorliegenden Haftbefehls festgenommen worden.

„Der Gerichtsvollzieher hat behauptet, er habe uns die Räumung angekündigt“, berichtete eine Bewohnerin. „Wir haben aber nie was davon gehört.“ Fragwürdig sei auch, daß das Gericht nur eine einzige Bewohnerin zur „Herausgabe des gesamten Hauses“ aufgefordert habe. Zwei weitere Personen seien in dem Haus polizeilich gemeldet. In anderen Fällen hatten die Hauseigentümer stets Räumungstitel gegen jeden einzelnen Bewohner mit genauer Benennung des Wohnraums erwirken müssen. Besetzer anderer Häuser zeigten sich durch die beiden Räumungen verunsichert: „Und welches Haus ist morgen dran?“ Gleich nebenan wurde die Urteilsverkündung im Räumungsprozeß gegen die Bewohner der Linienstr. 158/159 erwartet. Befürchtungen der Bewohner, „in einem Aufwasch“ mit auf die Straße gesetzt zu werden, erfüllten sich jedoch nicht. Mindestens zwei weitere Häuser in Friedrichshain, hieß es, seien in den nächsten Tagen räumungsbedroht.

Polizeipräsident Hagen Saberschinsky bekräftigte gestern, daß die Räumung der Palisadenstr. 49 der „Berliner Linie“ entsprochen habe. Altbesetzer seien vom Landgericht zur Herausgabe des besetzten Gebäudes verurteilt worden. Nach der Urteilsvollstreckung sei das Gebäude erneut besetzt worden. Das Verwaltungsgericht bestätigte am Mittwoch abend diese Auffassung. Der von den Bewohnern beantragte Zutritt zum Haus wurde zurückgewiesen.

Die Bewohner der seit 1990 besetzten „Pali“ bezeichneten die Räumung als illegal. Räumungstitel habe es nur gegen zwei Personen gegeben. Gegen die anderen Bewohner habe keine Klage vorgelegen. Das Gebäude habe zu keinem Zeitpunkt leer gestanden.

Ralf Hirsch, Sonderbeauftragter des Senats für Bauen und Wohnen, hielt die Räumung der Palisadenstraße für einen Verstoß gegen die Berliner Linie. Das Haus werde in der Verwaltung seit Jahren als besetzt geführt. Freke Over (PDS) bezeichnete die Räumungen als Rechtsbruch, da die Bewohner laut Bundesgesetzbuch nach einem Jahr Besitzrecht an ihren Wohnungen erworben hätten. Er forderte die Rückgabe der Häuser. Norbert Schellberg (Bündnisgrüne) warnte vor einer weiteren Zuspitzung der Eskalation. Die Räumungen kurz vor der Demonstration gegen Sozialabbau könnten nur als Provokation gewertet werden. Gereon Asmuth