Frauen fangen keine Fische

Eine Kanutour nur für Frauen in Nordkanada: Rund vierzig Kilometer Paddeln auf völlig unbekannten Gewässern, und es schüttet wie aus Kübeln  ■ Von Imke Rafael und Susanne Härpfer

„Jetzt ist für mich nichts mehr zu schwer“, freut sich Cindy. Die Hausfrau aus dem kanadischen Saskatoon hat gerade ein 40 Kilogramm schweres Kanu vom „French Lake“ in die „Grandmothers Bay“ getragen – genau wie die anderen 17 Teilnehmerinnen der viertägigen Kanutour nur für Frauen in Nordkanada. Für die erste Tour dieser Art liegen Wartelisten nicht nur aus Kanada, sondern auch aus den USA vor. Sarah, die 27jährige Organisatorin mit dem Strubbelkopf, erklärt sich den Ansturm so: „In gemischten Gruppen machen Frauen das gleiche wie zu Hause: Kochen und Abwaschen, während die Männer sofort am ersten Tag das Ruder übernehmen und so den Kurs bestimmen.“ Bei dieser Tour hingegen haben Frauen die Möglichkeit, mit dem Kompaß selbst ihren Weg durch die kanadische Wildnis zu finden, im Heck des wackligen Kanus den richtigen Paddelschlag für das Steuern zu lernen und bei Einbruch der Dämmerung entsprechende Lagerplätze für die Nacht zu suchen.

Die „lange Pat“ und die „kurze Pat“ begegnen sich das erste Mal beim Würstchengrillen am Ufer der Walker Bay. Die nächsten drei Tage werden sie buchstäblich in einem Boot sitzen. Pat, rund einen Meter neunzig groß, arbeitet in einer Zellstoffabrik, während die kleine Pat Hausfrau ist. Beide können sich nicht vorstellen, wie sie zusammen rund 40 Kilometer in den kippeligen schmalen Booten zurücklegen sollen: Es schüttet wie aus Kübeln, und der Wind ist so stark, daß sich sogar schon in der geschützten Bucht Schaumkronen bilden. Die beiden Pats sind besorgt: Erst jetzt wird ihnen, die noch nie in einem Kanu gesessen haben, klar, auf was sie sich eingelassen haben: Rund 40 Kilometer Paddeln auf ihnen vollkommen unbekannten Gewässern und drei Portagen. So nennen Kanuten die beschwerlichen Strecken, die es zwischen zwei Seen zu bewältigen gilt.

Nach dem letzten Stück Kirschkuchen wird es auch schon ernst – denn erst einmal müssen die meisten der 18 Frauen lernen, wie man richtig paddelt. Sarah zeigt den wichtigsten und gleichzeitig anstrengendsten Schlag, den jeweils die Frau im Heck ausführt, den J- Stroke. „Stecht das Paddel ins Wasser und macht eine Bewegung wie ein riesiges ,J‘“, brüllt sie über den See, „dann dreht das Kanu ganz leicht in die Richtung des Paddels.“

Doch unsere Anstrengungen sind vergeblich. Das Kanu will partout nicht den gewünschten Kurs halten. Wir schieben die Schuld auf den Wind und die Wellen. Zerschlagen klettert die Gruppe nach zwei Stunden an Land. Wie gut, daß Catherine, die Masseurin, dabei ist – die nächsten Tage wird sie noch viel zu tun bekommen. Bereits am ersten Abend bildet sich vor einem Felsblock eine lange Schlange: Eine Teilnehmerin nach der anderen nimmt auf dem Stein Platz. Und Cathys Finger pressen die geplagten Stellen an Schulter, Nacken und Oberarme. Die Entspannung genießend, kann unser Blick dabei über bewaldete Hügelkuppen und die Seen, die noch vor uns liegen, schweifen.

Etwas versöhnt lauschen die Frauen danach den Instruktionen von Sarah. Sie gibt jeder Teilnehmerin eine Trillerpfeife: „Einmal pfeifen heißt, ihr braucht dringend Hilfe; zweimal bedeutet, daß ihr euch verirrt habt.“

Um 6.30 Uhr am nächsten Morgen holt Sarah uns aus den Zelten. Es riecht nach frischen Bagels und Kaffee. Das Wetter hat sich immer noch nicht gebessert. Wir müssen das ganze Gepäck wasserdicht verpacken. Hier in Missinipe ist die letzte Gelegenheit, ein Plumpsklo zu besuchen und einen letzten Telefonanruf zu führen.

Die ersten zwei Kilometer auf dem See sind die Hölle: Vier Stunden brauchen wir, um einen windumtosten Felsen im Otter Lake zu erreichen, auf dem wir unseren ersten Lunch einnehmen. Beverly Lopez, eine von fünf befreundeten Krankenschwestern aus Denver/ Colorado, beißt frustriert in ihr Tomatenbrot. Mit klammen Fingern hält sie die Seekarte in die Höhe und fragt, wie lange sie wohl für die restlichen elf Kilometer Tagesetappe brauchen werden. Dann entwickelt sie kuschelige Phantasien von kernigen Buschpiloten, die uns alle mit ihren knatternden Waserflugzeugen retten und sicher ans nächste Ufer bringen. Doch keiner kommt. Statt dessen hat der Wind ein Erbarmen und bläst nun von achtern. Wir segeln förmlich durch die Inselwelt. Ab und zu füllen wir unsere Flaschen mit frischem, sauberem Seewasser. Hier wird klar, was Sarah meinte, als sie die Trillerpfeifen ausgab: Eine Insel sieht wie die andere aus, und nicht immer sind die anderen Kanus in Sichtweite. Sarah und Debbie sind ohnehin schon fast auf Utie Island angekommen, dem ersten Nachtlager. Um vier Uhr nachmittags ereichen auch die letzten das felsige Ufer. Georgia, Hausfrau aus Saskatoon, hackt bereits Holz für das Lagerfeuer. Zum Dinner gibt es Nachos mit Käse und Salsa und wilden Reis, der in Saksatchewan noch immer von den Cree-Indianern angebaut wird. Plötzlich fallen mehrere Schüsse. „Eigentlich ist im August keine Jagdsaison, und außerdem ist es verboten, in der Nacht zu jagen“, sagt Debbie, „aber die Indianer halten sich nicht immer daran. Gnadenlos knallen sie alles ab, was ihnen vor die Flinte kommt. Sie verhalten sich so, wie vor hundert Jahren die weißen Siedler.“ Niemand kann die Cree oder Dene, die hier leben, dafür belangen, denn sie haben Verträge, die ihnen uneingeschränktes Jagdrecht zusichern. Im letzten Jahr wurden allein in der Provinz Saskatchewan 1.400 Bären getötet; viele davon nur wegen ihrer Gallenblase, die in China eine begehrte Medizin ist. Melancholisch singt die 19jährige Nissa: „Mama should like it when the spirit rises.“ Sie ist die Köchin der Truppe, und nach dem Abwasch greift sie zu ihrer sonst wasserdicht verpackten Gitarre. Georgia bastelt unterdessen Nachtlaternen, die sie vor jedes Zelt stellt: Sie füllt braune Packpapiertüten mit etwas Moos und stellt eine Kerze hinein. „Wer hat noch etwas zum Naschen versteckt?“ fragt Sarah. „Ihr müßt alles abgeben, denn sonst ergeht es euch wie dem Muffin-Man.“ Dann erzählt sie die Geschichte von Cliff, dessen Mutter ihm auf einer Kanutour Muffins einpackte; als Betthupferl legte er sie neben den Schlafsack. „Doch auch Bären lieben Muffins, und sie klopfen nicht an, sondern marschieren schnurstracks auf ihr Ziel los“, fährt Sarah fort, „Cliff hatte nochmal Glück, aber sein Zelt war ziemlich demoliert. Werdet also nicht zum ,Muffin- Man‘, und gebt lieber alles Eßbare vorher ab.“ Kuchen, Studentenfutter und Traubenzucker landen sogleich in einem karierten Tuch; Sarah schnappt sich das Bündel und die restlichen Vorräte und marschiert tief in den Wald. Weit weg vom Lager hängt sie das Essen an stabile Äste.

Der nächste Tag bringt Riesenfortschritte. Bei strahlendem Sonnenschein paddeln 18 Frauen gekonnt die Rattler Bay hinauf und weiter in den Stewart River. Sie folgen den alten Wasserwegen der Cree. Auf überhängenden Felsen am Rattler Creek haben die Jäger einst ihre Visionen verewigt. Biber, Karibus und Pfeile, gemalt mit roter Pflanzenfarbe, sollten ihnen reiche Beute bescheren. Heute sind die Piktogramme verblaßt. Sarah erweckt sie zu neuem Leben, indem sie sie mit Wasser begießt. Von der Felsspitze steigt ein Weißkopfadler auf, so nah, daß wir seine Augen sehen können. Noch heute sammeln die Cree die Adlerfedern, um sich damit für heilige Tänze zu schmücken.

Die 30jährige Gretchen aus Denver schwärmt: „Am liebsten würde ich die Tour mit meiner Mutter oder meiner Schwester machen, statt sie immer nur auf den üblichen Familienfeiern zu treffen.“ Nur auf die anstrengende Portage könnte sie gut verzichten, die am Ende des Stewart River wartet. Der Berg, über den die Kanus in den Ducker Lake getragen werden müssen, ist steil und aufgeweicht vom Regen. Das Kanu auf dem Kopf balancierend, stolpern wir über Wurzeln und Steine. Rucksäcke, Zelte und Nahrungsmittel folgen einzeln. Portagen sind eine zeitraubende Angelegenheit. Wir verstehen, warum die Indianer und Pelzjäger früher riskante Stromschnellen abgefahren sind.

Auf der Felsinsel im French Lake wartet abends eine Belohnung: Sarah bastelt einen Reflektorofen. Sie schichtet Tannenholz so aufeinander, daß die Flammen von schräg gestellten Blechen reflektiert werden und so extrem hohe Temperaturen entstehen. Der „Wilderness-Banana-Cake“ aus dem Tannenholzofen ist besonders lecker, und auch die größte Plage, die Moskitos, sind durch das Feuer verscheucht.

Nur Fisch gibt es auch am zweiten Tag nicht, obwohl die Seen voll sind mit Forellen und der Delikatesse Nordkanadas, dem Peckerel- Fisch. Jede der Frauen würde zwar Fische fangen, aber keine will sie töten. „Das ist der Unterschied zu einer gemischten Gruppe“, konstatiert Debbie lachend, „wären Männer dabei, gäbe es Fisch satt, denn jeder würde den größten fangen und grillen wollen.“

Am letzten Tag fühlen sich alle bereits heimisch auf den Gewässern des La-Ronge-Distrikts. Debbie brüllt ihr größtes Lob aus dem hintersten Kanu: „Ihr seht richtig gut aus – wie ein Regattateam.“ Doch einige träumen auch bereits von Dusche, Shampoo und Toiletten. Da taucht die Felsnase der Walker Bay auf, auf der wir uns erschöpft zum ersten Lunch niedergelassen hatten.

Noch zwei Kilometer mit starkem Seitenwind, und wir haben unseren Ausgangspunkt, das Cree- Dorf Missinipe, wieder erreicht. Ein Cree beobachtet kopfschüttelnd das Anlegemanöver der neuen Kanus und bemerkt: „Das ist das erste Mal, daß ich eine Gruppe Frauen ohne Mann auf Kanutour sehe – und das auch noch bei diesem Wetter.“

Informationen und Buchung bei: Canoe Ski Discovery Company, 1618 9th Avenue North, Saskatoon, Saskatchewan, Canada S7K 3A1, Tel. 001-306-6535693, Fax 001-306-6681369 – oder: Saskatchewan Tourism Authority, 500-1900 Albert Street, Regina, Saskatchewan, Canada S4P 4I9, Tel. 001-306-7879600, Fax 001- 306-7870715.