„Absolut vernichtungsentschlossene Recken“

■ Der Holocaust war nicht das Werk einiger Rassenfanatiker: Die intellektuelle Elite machte eifrig mit. Grubbes Lebensweg ist der furchtbare Normalfall – Von Götz Aly

Volkmann/Grubbe führte zwei Leben: Der Regierungsassessor Claus Volkmann bereitete sich 1941/42 auf eine glänzende Karriere im öffentlichen Dienst des Großdeutschen Reiches vor. Osterfahrung als Kreishauptmann im galizischen Kolomea, aktive Mitwirkung an der „Endlösung der Judenfrage“, das hatte nicht jeder zu bieten. Wäre es so weitergegangen, könnte es der junge Verwaltungsfachmann glatt zum Distriktgouverneur von Taurien und anschließend zum Sonderbevollmächtigten des Führers für Deutsch-Nordafrika gebracht haben. Mittlerweile lägen seine Memoiren vor: Rasse, Raum und Reichsgewalt. Ein Leben für die Kulturnation, Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg-Gotenhafen-Heinrichsfeste 1991.

Es kam anders. Zuletzt sahen wir den Namen (Volkmann/) Grubbe in der Zeit und bei dtv. Ein erster Karriereknick – die Versetzung wegen Korruption – ereilte Volkmann schon 1942. Der zweite – bekanntere – ereignete sich 1945. Während sich einige seiner Kollegen als Vertreter durchschlugen oder bald dem sogenannten Gauleiterflügel der FDP beitraten, nannte Volkmann sich nun Grubbe, als Beruf gab er Journalist an. Nur der unerwartete Erfolg dieses Auswegs hinderte ihn 1953 daran, gemäß Artikel 131, Grundgesetz in den öffentlichen Dienst zurückzukehren. Denn es bestand, wie der Fall des Volkmann-Kollegen Dr. Zinser zeigte, kein prinzipielles Problem, vom ehemaligen Kreishauptmann und Ghettokommissar zum Richter am Bundesverwaltungsgericht aufzusteigen.

Die Gesetzeslage im besetzten Polen war eindeutig. Die „Erste Durchführungsvorschrift zur Verordnung vom 28.11. 1939 über die Einsetzung von Judenräten“ vom 25.4. 1940 legte unzweideutig fest, daß alle Befehle deutscher Dienststellen „ausschließlich über den für den Judenrat zuständigen Kreishauptmann zu leiten“ seien. Für den Fall, daß sich ein deutscher Staatsanwalt findet, der unter Anwendung der mittlerweile entwickelten Mielke-Honecker-Norm Grund zu einem Haftbefehl gegen den 82jährigen Volkmann/Grubbe sieht, sei noch die Quelle angegeben: Verordnungsblatt des Generalgouvernements (Polen), 2 (1940), S.249.

Der Kreishauptmann von Kolomea, Claus Volkmann, war 1941/42 Herr über etwa 30.000 Juden. Besonders schnell richtete er das Ghetto und zusätzlich einige „Judensammelorte“ ein. Er trug die Mitverantwortung für jede Razzia, für jede Massenerschießung, für das Verhungernlassen der Arbeitsunfähigen und die baldige Deportation Tausender ins Vernichtungslager Belzec. Am 29. August 1944, als die Rote Armee Kolomea von den Deutschen befreite, lebten nur noch ein paar Dutzend Juden in dieser Region.

Kolomea gehörte bis 1918 zum österreichischen Ostgalizien, anschließend zu Polen, 1939 bis 1941 zur Sowjetunion, dann bis 1944 zum Generalgouvernement, dem „Nebenland des Reiches“, heute ist es Bestandteil der Ukraine. Da die Ghettoisierung, Deportation und Ermordung der ostgalizischen Juden unter aktivster Beteiligung der ukrainischen Hilfspolizei geschah, blieb die Region für die Erforschung des Holocaust jahrzehntelang hinsichtlich der Details eine Terra incognita. Erst im nächsten Herbst wird im Institut für Zeitgeschichte die Dissertation des ausgezeichneten Quellenkenners Dieter Pohl zum Thema „NS-Judenverfolgung in Ostgalizien 1941-1944“ erscheinen.

Volkmanns Chef war der Generalgouverneur Hans Frank, der seinen Kreis- und Stadthauptleuten so viel Vollmachten „wie irgendwie noch erträglich“ zugestand. Er sah in den Kreishauptmannschaften ein „persönlichkeitsbildendes Element“. Hier sollte der alte Schematismus mit jungen Aktivisten aufgebrochen und eine „typisch östliche illegale Art“ der Administration vorexerziert werden.

Frank wollte das Gouvernement nicht von „müden, verstaubten Aktenmenschen, bürokratisch versippten Gesellen“ verwalten lassen, sondern von einem „Abguß wahrer Tüchtigkeit“, von „absolut polenvernichtungsentschlossenen Recken“. Die Vernichtung der Juden verstand sich von selbst. In einem der ersten Verwaltungsberichte über das annektierte Ostgalizien hieß es im August 1941: „An nicht deutschen Volksgruppen im Distrikt Galizien sind vorhanden: Ukrainer 63,6%, Polen 22,4%, Juden 14%. Da die Juden keine Berücksichtigung in der deutschen Verwaltung finden, verschiebt sich das prozentuale Verhältnis von Ukrainern zu Polen wie folgt: Ukrainer 70,6%, Polen 29,4%.

Volkmann blieb nach dem Krieg kein „Ewiggestriger“ – er wurde zum Liberalen. Er teilte diesen Weg mit Werner Höfer, Hilmar Pabel (Starfotograf des Stern), Hermann Proebst (Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung), Fritz Sänger (Chefredakteur der dpa), Helmut Meinhold (Vorsitzender des Sozialbeirats beim Bundesarbeitsministerium) und vielen anderen. Man mag darin eine strategisch ausgeklügelte, besonders erfolgversprechende Art des Opportunismus, den Inbegriff des frühen deutschen Wendehalses sehen.

Ich sehe es anders: Der nationalsozialistische Staat hätte sich schnell um jeden Erfolg gebracht, wenn er sich ausschließlich auf Altnazis des Zuschnitts Oberländer gestützt hätte, er bedurfte einer jungen, flexiblen Elite der Macher. Sie pflegten eine gewisse Distanz zur völlig inkonsistenten Amtsideologie und entwickelten dabei eine Herrschaftstechnik, die diesem Staat zu höherer Stabilität verhalf, „insofern sie konservativen, radikalen, emotionalen und rationalen Bedürfnissen gleichermaßen Raum und Bezugspunkt vermittelte“ (K. D. Bracher).

Der Holocaust war nicht das Werk einiger Rassenfanatiker, sondern Ergebnis eines vielschichtigen Prozesses. Die Beteiligten stammten aus allen Schichten der deutschen Bevölkerung, aus unterschiedlichsten Denkschulen, und sie hatten vor 1933 die verschiedensten politischen Prägungen erfahren. Sie waren für die deutsche Gesellschaft repräsentativ – auch nach 1945.

Götz Aly ist Historiker. 1995 erschien sein Buch „,Endlösung‘. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden“ (Verlag S. Fischer).